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Thomas Insels bemerkenswertes Blog

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Thomas Insel

Thomas Insel (1)

Thomas Insel ist der Direktor des weltgrößten psychiatrischen Forschungszentrums, des “National Institute of Mental Health”, kurz NIMH. Der Mann ist einer der einflussreichsten Psychiater auf diesem Planeten. Entsprechend groß war das Aufsehen, das er vor geraumer Zeit mit einem Eintrag in seinem “Directors Blog” erregte: “Transforming Diagnosis“; er schrieb u. a. Folgendes über das diagnostische Handbuch der amerikanischen Psychiatrie, DSM:

“Das Ziel dieses neuen Handbuchs, wie aller vorherigen Ausgaben, ist es, eine gemeinsame Sprache zur Beschreibung der Psychopathologie bereitzustellen. Obwohl das DSM als “Bibel” für dieses Gebiet beschrieben wurde, ist es, bestenfalls, ein Lexikon, das eine Menge von Etiketten kreiert und sie definiert. Die Stärke jeder dieser Ausgaben des DSM war “Reliabilität” – jede Edition stellte sicher, dass Kliniker dieselben Begriffe in derselben Weise benutzten. Seine Schwäche ist sein Mangel an Validität. Anders als bei unseren Definitionen der Ischämischen Herzkrankheit, des Lymphoms oder von AIDS, beruhen die DSM-Diagnosen auf dem Konsens über Muster klinischer Symptome, nicht auf irgendwelchen objektiven Labor-Daten. In der übrigen Medizin entspräche dies dem Kreieren diagnostischer Systeme auf Basis der Natur von Brustschmerzen oder der Qualität des Fiebers. In der Tat, symptom-basierte Diagnosen, die einst in anderen Gebieten der Medizin üblich waren, wurden im letzten halben Jahrhundert weitgehend ersetzt, weil wir verstanden haben, dass Symptome selten die beste Wahl der Behandlung anzeigen. Patienten mit psychischen Störungen haben Besseres verdient.“

Sauber. Die Bosse der American Psychiatric Association (APA), die das DSM herausgeben, schäumten über vor schierer Begeisterung. Allerdings stellten sie dann, nachdem der Überschwang sich legte, die bange Frage, wie sich Thomas Insel denn eine Reform des Diagnostizierens genau vorstelle. Dies erfahren wir nun im neuesten Blog-Eintrag, BITs and BYTEs. Nachdem er seiner Begeisterung für die stürmischen Entwicklungen im Bereich moderner Elektronik und Computertechnik überschwänglich Ausdruck verliehen hat, fährt er fort:

“Als dies führt uns vor Augen, wie die Technik die Diagnose und Behandlung psychischer Störungen verändern wird. Auf der diagnostischen Seite haben wir ja bereits viele Geräte mit eingebauten Sensoren – Smart Phones, Computer, Anwendungen – die fortwährend Daten über Ort, Bewegung und Kommunikation einfangen, und die uns helfen, Echt-Zeit-Bilder des funktionellen Status’ zu kreieren. Aktivitätsmonitoren, die Schlaf und Bewegung überwachen, gibt es ja schon seit Jahrzehnten. Telefon-Sensoren können Depressionen aufgrund von Veränderungen in der Stimmqualität ‘diagnostizieren’. Einige haben vorgeschlagen, dass Kreditkartenunternehmen die ersten sein könnten, die den Beginn einer manischen Episode entdecken, obwohl diese Information scheinbar weitgehend vernachlässigt wird.”

Mir verschlägt es die Sprache: Sind dies die objektiven Daten, von denen Insel in “Transforming Diagnosis” sprach? Man könnte die Idee noch weiterspinnen und mutmaßen, dass dereinst ins Hirn implantierte Chips kontinuierlich Daten zur Diagnose unseres mentalen Zustandes an zentrale Computer liefern, die dann ggf. Alarm auslösen, so dass wir Besuch von sozialpsychiatrischen Diensten erhalten, die nach dem Rechten sehen und uns eventuell gleich mitnehmen, zu unserem Besten, versteht sich.

In einem Beitrag namens Research Domain Criteria — RDoC zu einem gewaltigen Forschungsprojekt des NIMH zur Neuro-Psycho-Biologie psychischer Störungen, schreibt der Direktor:

“So wie bei Brustschmerzen und Fieber, könnten durch Hinzufügen weiterer Werkzeuge in unseren diagnostischen Werkzeugkasten die augenblicklichen Etiketten wie ‘Depression’ und ‘Schizophrenie’ präziseren Kategorien Platz machen. Diese Fortschritte könnten das Potenzial besitzen, die Art und Weise zu revolutionieren, wie wir psychische Störungen diagnostizieren und, bedeutender noch, behandeln.”

Ich empfehle mit großem Nachdruck die Lektüre des Director’s Blog. Das NIMH ist eine staatliche Institution, sie untersteht dem amerikanischen Gesundheitsministerion. Und die USA sind eine imperialistische Macht, die den Planeten durch ein Netzwerk von Kolonien, den so genannten militärischen Stützpunkten, voll im Griff hat. Niemand möge mir vorhalten, dass ich hier gerade dazu ansetze, eine Verschwörungstheorie zu entwickeln. Verschwörungstheorien beinhalten als zentrales Element stets die Geheimhaltung. Hier aber wird nichts geheim gehalten. Das “Director’s Blog’ und ähnliche Publikationen sind öffentlich, für jedermann zugänglich.

Insel fantasiert nicht,  er ist kein Utopist. Zwar kann man mit den von Insel erwähnten und mit den von mir weitergedachten Methoden keine “psychischen Krankheiten” diagnostizieren (bei diesen “Diagnosen” handelt es sich immer um Bewertungen, die nicht auf Fakten basieren),  wohl aber kann man damit Abweichungen von Normen oder anderen gesellschaftlichen Zielvorgaben detektieren. Und darauf, nicht auf ominöse “psychische Krankheiten”, kommt es interessierten Kreisen im amerikanischen Imperium offenbar an.

Dies ist keine Kritik an Insel. Der Direktor ist fraglos ein ehrenwerter Mann, er will das Gute, nein, das Beste, er schließt seinen BITs-and-BYTEs-Beitrag mit den Worten:

“But for now, it will take our best minds to figure out how to harness this second machine age to make sure we empower people with technology rather than creating more problems for human therapists to solve.”

Wir müssen die Menschen mit Technologie ermächtigen, ihnen helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Klar. Guter Mann, dieser Insel. Ob die NSA das auch so sieht?

Anmerkung:

(1) Bild von Thomas Insel gefunden in Wikipedia; Public Domain, da Arbeit eines Angestellten der amerikanischen Regierung

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