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Gert Postel positioniert sich

Gert Postel ist Schirmherr der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener (BPE) (1). In einer Pressemeldung der BPE wird Postel als Experimentator vorgestellt, der bewiesen habe, dass es kein psychiatrisches Wissen gäbe.

Es scheint aber postelistisches Wissen zu geben, und das klingt so:

“Wie einer ist, so muss er handeln bei Eintritt des Motivs, der Ursache, des Reizes von außen. Gemäß seiner Beschaffenheit “handelt” ein jedes Ding. Herr Mollath agiert, beispielsweise seinem Verteidiger gegenüber, so, wie er in Wahrheit ist, seinem eigentlichen Charakter gemäß. Reize von außen kitzeln nur das heraus, was in einem Menschen veranlagt ist. Der “Schlüssel” liegt deshalb nicht “in der Tiefe seiner Ehebeziehung begründet,” sondern im eigentlichen Kern der Persönlichkeit: das ist sein moralischer Charakter. Deshalb darf keine psychiatrische, sehr wohl aber eine charakterologische Bewertung vorgenommen werden.”

So sprach der Meister am 31. Juli 2014 in Ursula Prems interessantem Blog. Vorausgesetzt wird hier natürlich, dass sich in diesem Blog unter dem Namen Gert Postel nicht irgendein Hochstapler zu Wort meldete, sondern der berühmte Gert Postel selbst.

Es ging bei dieser Wortmeldung um Gustl Mollath. Postel schreibt am 29. Juli 2014 ebenda:

“Die Art und Weise, wie Herr Mollath mit seinem Anwalt umgeht, dem er schlicht alles (alles!) zu verdanken hat, ist menschlich und charakterlich allerunterste Schublade. Tiefer kann man moralisch nicht fallen. Ich kann nichts tun, aber könnte ich etwas tun, ich hätte nur noch das Bedürfnis, Herrn Strate gegen die Zumutungen eines solchen Mandanten zu schützen!”

Wir erinnern uns: Gustl Mollath saß lange Zeit im Maßregelvollzug und Gerhard Strate setzte ein Wiederaufnahmeverfahren in diesem Fall durch.

Eine schöne Holzschnittarbeit: Hier der charakterlose und undankbare Gustl Mollath, dort sein Anwalt, ein strahlender, selbstloser Held. Mollath, das “Ding” handelt gemäß seiner Beschaffenheit. Und so auch Strate. Reize können aus ihnen nur herauskitzeln, was in ihnen liegt.

Man könnte sich natürlich auch vorstellen, dass im langjährigen Maßregelvollzug ziemlich monotone Reize auf Gustl Mollath eingewirkt haben, die ihn Schritt für Schritt zu dem formten, den wir heute zu kennen meinen. Und natürlich wäre es auch denkbar, dass Gerhart Strate durch die mit seinem Beruf des Anwalts verbundenen, charakteristischen Reize aus einem Menschen, der sich für einen Kommunisten hielt, in einen radikalliberalen Hüter des bürgerlichen Rechtsstaates verwandelt wurde.

Aber nein, so belehrt uns der Schirmherr: “Reize von außen kitzeln nur das heraus, was in einem Menschen veranlagt ist.” Mag auch die empirische Persönlichkeitspsychologie mehrheitlich dem Irrglauben anhängen, menschliches Verhalten sei das Ergebnis einer Interaktion personaler und situativer Bedingungen, so weiß Gert Postel es alleweile besser: Der Dreh- und Angelpunkt des menschlichen Lebens ist der moralische Charakter; und der entspricht einer Veranlagung, steckt also in den Genen.

Damit hier keine Zweifel aufkommen, ob der Mann wirklich begreift und meint, was er da sagt, sei noch dieses Zitat angefügt:

“Charakter und psychiatrische Erkrankung – falls es sie gibt – sind sui generis etwas anderes. “Behandelbar” ist der Charakter leider nicht, er ist unveränderlich, ein Werk der Natur.”

Und so ist nur folgerichtig, was der Postbote am 22. August 2014 in Ursula Prems interessantem Blog zu Papier bringt:

“Es war wichtig und wertvoll, dass Herr Dr. Strate die eines Rechtsstaates und seiner Justiz unwürdigen Unglaublichkeiten an das Licht geholt und einer Korrektur zugeführt hat. Er hat über die Maßen Großes geleistet, auch in menschlicher Hinsicht. Sein Mandant allerdings hat sich eines solches Verteidigers und Menschen im Verlaufe der Zeit als unwürdig erwiesen. Herr Mollath hat einen Gerhard Strate nicht verdient; für den “Fall” Mollath war Herr Strate die allerbeste Wahl, – für Herrn Mollath war er zu schade. Zu Gunsten von Herrn Mollath könnte man nur annehmen, dass er sich der übermenschlichen Leistung seines Verteidigers zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens bewusst gewesen ist. Gerhard Dörner, mit welchem mich sonst nichts verbindet, hat etwas Kluges gesagt: Herr Mollath möge sich bei seinem Verteidiger öffentlich entschuldigen. Dafür aber ist es jetzt zu spät. Um Herrn Mollath wird es sehr schnell einsam werden. Und ich habe kein Mitgefühl mehr mit ihm.”

Schließt hat Herr Mollath dem Herrn Strate “schlicht alles (alles!) zu verdanken”. Wenn ich mich recht entsinne, trat Strate erst relativ spät auf den Plan, nämlich nachdem zunächst Mollath allein, später dann im Schulterschluss mit seinem Unterstützerkreis den Stein ins Rollen gebracht hatte – aber ganz gleich: Herr Postel weiß: Das war alles nichts.

Und nun hat Herr Strate auch noch ein schönes Buch über den Fall Mollath geschrieben, über das der Schirmherr sich schier ausschütten will, des Lobes voll:

“Ich hatte Gelegenheit, ein Vorabexemplar des Buches zu lesen. Es handelt sich hier um ein justizhistorisches Dokument von sehr hohem Wert. Gerhard Strate hat unter vielem anderen auch das Verdienst, Justizunrecht und die Allmacht der forensischen Psychiatrie vollkommen transparent gemacht zu haben, sowohl im Buch, wie auch auf seiner Homepage (dort: Dokumentation). Jeder Strafjurist und jeder Journalist sollte das gelesen haben. Für forensische Psychiater indes ist es keine Lektüre, weil diese Leute zu eigenem Macht- und Einkommenserhalt einsichtsresistent sind. Menschlich bemerkenswert und ein Beweis charakterlicher Noblesse des Verfassers ist es, dass er Loyalität zu seinem Mandanten auch dort noch beweist, wo dieser Mandant ihn aufs Übelste und Undankbarste behandelt hat. Die Verteidigung Mollaths war für Gerhard Strate ein selbstloser, wahrscheinlich auch auf Mitgefühl beruhender Akt, für den er auch noch hat bezahlen müssen. Warum schlägt man einen solchen Strafverteidiger nicht für das Bundesverdienstkreuz oder eine Honorarprofessur vor? Auch seine wissenschaftlichen Verdienste sind singulär.”

So gehen Göttergleiche miteinander um. In Strates Buch, das ich nicht kenne, geht es wohl auch, anscheinend wohlwollend, um den Postboten, der zum Chefarzt der Psychiatrie aufstieg.

Bedenken wir zudem, dass solche äußeren Reize, wie Strates Buch, ja nur aus dem Herrn Postel herauskitzeln, was tief in ihm steckt, anlagebedingt. Es ist wohl das Juristische. Vielleicht hat er gar den Beruf verfehlt? Hätte er sich zum Richter hochstapeln sollen?

Egal: Als Schirmherr kann er der inneren Neigung freien Lauf lassen. Denn die BPE beruft sich zur Verteidigung der psychiatrisch Diagnostizierten auf die Behindertenrechtskonvention. Da die mit psychiatrischen Diagnosen verleumdeten Personen in Wirklichkeit Behinderte seien, dürfe man sie nicht unter Zwang behandeln. Die Behindertenkonvention ist geltendes Recht, das allerdings von unseren Gerichten anders ausgelegt wird, als die BDE gern hätte. Da tut sich ein weites, fruchtbares Feld für Anwälte auf. Dies mag dem Schirmherrn ein Wohlgefallen sein.

Scherz beiseite: Gustl Mollath ist eigensinnig, ja, vielleicht erscheint er mitunter nicht ohne Grund sogar als starrsinnig – aber dass er sich mit dem Urteil im Wiederaufnahmeverfahren nicht zufrieden geben will, schreibe ich nicht einem “schlechten Charakter” zu. Das ist eine Haltung, die unter den Hammerschlägen des Lebens entstand, unabhängig von irgendwelchen Anlagen, von den Genen. Dem Schirmherrn möchte ich vorsorglich zurufen: Wer allzu tief ins Klo greift, könnte eines Tages von den Geistern, von denen er verlassen zu sein nur scheint, in dieses hineingezogen werden, auf Nimmerwiedersehen. Und das kann niemand wollen.

Anmerkung

(1) Nicht identisch mit dem Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (BPE).

Zur Lektüre empfohlen:

Sozialkompetenz

PS:

Einer ganzen Reihe von Leuten hat Gustl Mollath Gelegenheit gegeben, berühmt oder noch berühmter zu werden. Genau diese Leute erwarten heute von ihm, dass er sich dankbar zeigen solle. Viele dieser Leute sind mir vor dem “Fall Mollath” nicht durch besonderes Interesse an den Menschen aufgefallen, die im Maßregelvollzug oder in geschlossenen Psychiatrien einsitzen. Aber die sind ja auch nicht so populär.

Es mag ja sein, dass Mollath sich gegenüber Strate unklug verhalten hat, weil der Anwalt besser weiß, was in einem Prozess geht oder nicht geht. Aber es ist nicht zu bestreiten, dass für Mollath ein Freispruch, bei dem er als Schläger dasteht, nicht annehmbar sein konnte und dass er es deswegen seiner Ehre schuldig war, nichts unversucht zu lassen, einen “Freispruch erster Klasse” zu erreichen.

Wenn Mollath die sieben Jahre Maßregelvollzug emotional relativ unbeschadet durchgestanden hat, dann liegt dies wohl auch an seiner Hoffnung, eines Tages von den Vorwürfen seiner geschiedenen Frau entlastet zu werden. Man kann, so will mir scheinen, eine solche Hoffnung nicht einfach preisgeben, ohne sich der Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs auszusetzen.

Ein Mensch wie Postel, der den Psychiater überzeugend mimte, kann sich dies womöglich nicht vorstellen. Vielleicht lähmt ja immer noch eine Überdosis Psychiatrie seine Vorstellungskraft.

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