Im Jahr 2003 schrieb ich folgenden Leserbrief an den Spiegel:
Leserbrief zum Artikel „Ein Fußball für die Taliban“, Spiegel, 33/2003
Das Bild auf Seite 98 („Häftlinge im Camp X-Ray“) sollte man sich genauer anschauen – am besten mit einer Lupe. Man erkennt, dass die Gefangenen schwarze Brillen, Mundschutz, Ohrenschützer und dicke Handschuhe tragen. Dies lässt nur einen Schluss zu: Die Gefangenen werden der „sensorischen Deprivation“ unterworfen. Der systematische Reizentzug führt schon nach wenigen Stunden zu einer Destabilisierung der Psyche, später dann zu psychotischen Störungen und zu einer in Extrem gesteigerten Suggestibilität. Dies ist eindeutig eine folterartige Form der Gehirnwäsche. Die Belohnung willfähriger Häftlinge ist daher keine humanitäre Hafterleichterung, sondern ein Bestandteil dieser Strategie zur „Bewusstseinskontrolle“, die von der CIA während des Kalten Kriegs entwickelt und perfektioniert wurde.”
Dieser Leserbrief wurde nicht veröffentlicht.
Am 10. 12. 2014 (online) heißt es nun unter dem Titel “Wie US-Forscher der CIA halfen: Die Folter-Psychologen“ über die Foltermethoden der CIA in diesem Magazin:
“Man stülpt ihnen schalldichte Kopfhörer auf, legt ihnen eine Augenbinde an und gibt ihnen Kleidung, die es unmöglich macht, Oberflächen zu ertasten: Stunden- oder gar tagelang nichts sehen, hören oder spüren zu können, macht Menschen wahnsinnig – und bricht ihren Willen. Sie beginnen nach ein bis zwei Tagen zu halluzinieren, drehen durch.”
Anlass für diesen Artikel war der nunmehr freigegebene Bericht zu den Folterpraktiken der CIA des US-Senats. Es war allerdings bereits auf dem Foto, das der Spiegel 2003 veröffentlichte, unschwer zu erkennen, dass in Guantanamo Foltermethoden praktiziert wurden. Es handelte sich um Methoden aus dem Spektrum spezieller, auf die Bedürfnisse von Demokratien zugeschnittener Verfahren (weiße Folter, Stealth Torture), die ich in meinem Buch “Hypnose, Bewusstseinskontrolle, Manipulation” beschrieben habe. Dieses Buch beruht auf einem Manuskript (“Unsichtbare Ketten“) aus dem Jahr 2003.
Folter ist keine Spezialität von Diktaturen, sie war es nie, in demokratischen Staaten wird gleichermaßen gefoltert, und dies nicht erst seit 9/11. Davon kann man sich in Darius Rejalis akribisch recherchierten Buch “Torture and Democracy” überzeugen. (Siehe zudem den Lexikoneintrag: “Die Atombombe, der Krieg, die Psychiatrie“.) Doch das Bewusstsein der meisten Bürger in demokratischen Staaten ist vernagelt. Daher konnte der Spiegel 2003 ein Foto veröffentlichen, ohne im entsprechenden Artikel auch nur mit einem Wort zu erwähnen, dass darauf eine Folterszene abgebildet war. Wie blind muss man eigentlich sein, um nicht zu erkennen, was hier vorgeht?
Nein, wirklich nicht, die jetzt im Bericht des Senats geschilderten Vorgänge sind keine Ausnahmeerscheinungen, die durch die besonderen Bedingungen nach dem Terrorangriff auf das World Trade Center und das Pentagon erklärt werden müssten. Folter gehört in Demokratien zum Alltag. Wie lange noch?
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