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Frohe Weihnachten, liebe Neger

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In Amerika ist es inzwischen verpönt, Kunden oder Mitarbeitern “Merry Christmas” zu wünschen. Auch aus den Werbekampagnen sind die Weihnachtswünsche verschwunden. Ersatzweise heißt es: “Seasons Greetings” oder “Happy Holidays”.

Schließlich möchte man die amerikanischen Moslems, Buddhisten, Hinduisten, Anhänger sonstiger Glaubensgemeinschaften sowie natürlich auch die Freidenker und Atheisten nicht kränken.

Meinungsumfragen haben zwar ergeben, dass 95 Prozent der Amerikaner Weihnachten feiern – und zwar unabhängig vom Glaubens- oder Unglaubensbekenntnis – aber wer meint, “Political Correctness” habe etwas mit realer Diskriminierung zu tun, der hat die ganze Chose nicht verstanden.

Weihnachten ist weltweit kein ausschließlich christliches Fest mehr. Es ist noch nicht einmal ein religiöses Fest. Das ist auch den Kirchen nicht verborgen geblieben. Sie beklagen die zunehmende Kommerzialisierung. Eigentlich könnte also jeder wissen, dass am Weihnachtstag nur noch eine Minderheit in erster Linie die Geburt Jesu feiert. Und so ist es auch rational nicht nachvollziehbar, warum “Frohe Weihnachten” diskriminierend sein soll.

Das Weihnachtsideal besteht heute darin, im Familienkreis zusammenzukommen, sich zu beschenken, gut zu essen und zu trinken, alte Freundschaften zu pflegen. Zuvor muss man sich heftig abrackern, damit man dann, wenn der Stress nach der Bescherung nachlässt, mit besonderem Genuss ein paar Tage die Seele baumeln lassen kann.

Mit Religion hat dieses Ideal erkennbar nichts zu tun. Natürlich kann, wer mag, Religiöses mit Weihnachten verbinden – wer nicht mag, muss deswegen aber auf Weihnachten nicht verzichten. Das ist hier in Deutschland so und in Amerika nicht anders.

Was stößt mir hier so böse, so sauer auf an dieser “Political Correctness”?

  • Es geht offenbar nicht um die Menschen.
  • Es geht offenbar nicht um den Schutz von Minderheiten.
  • Es geht offenbar nicht um die Achtung von Gefühlen.
  • Es geht um die Dressur von Menschen um der Dressur willen.
  • Die Menschen sollen sich in immer weiteren Bereichen ihres Lebens willig abrichten lassen, ohne nach dem Sinn zu fragen.

Früher wurden solche Dressuren religiös legitimiert oder auch nationalistisch. Ein guter Christ (Jude, Moslem etc.) oder ein guter Deutscher (Amerikaner, Brite etc.) tat dieses oder jenes nicht.

Doch heute, in der multikulturellen Gesellschaft, geht die Allgemeinverbindlichkeit der religiösen und nationalen Imperative zunehmend verloren. Daher braucht man die “politische Korrektheit” als verbindliche Leerformel zur Abrichtung menschlicher Tanzbären.

Nun gut, ich räume ein, dass manche politisch korrekten Formulierungen tatsächlich Kränkungen vermeiden.

  • Manche Neger beispielsweise fühlen sich wirklich von diesem alten deutschen Wort beleidigt, obwohl es nicht anders bedeutet als Schwarzer. Denn dieses gute alte deutsche Wort ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen.
  • Manche Frauen sind tatsächlich indigniert, wenn man statt LehrerIn einfach nur Lehrer schreibt, um sich auf den Berufsstand insgesamt zu beziehen.

Doch wenn man sich die Natur dieser Kränkungen genauer anschaut, dann springt deren Künstlichkeit ins Auge. Sage ich zu einem anderen in kränkender Absicht: “Du Schwein”!, dann muss der sein Gekränktsein nicht aus einem Wust von Ideologien ableiten – er weiß spontan, dass ich ihn kränken wollte.

Das spontane Wissen stammt

  • erstens aus der sprachlichen Tradition, denn “Schwein” wird im Deutschen bekanntlich als Schimpfwort gebraucht
  • und zweitens ergibt sich die Absicht zur Beleidigung aus dem Kontext der Kommunikation.

Fühlt sich eine Frau aber missachtet, weil ich Lehrer, statt LehrerIn schreibe, dann kann sie dieses Gefühl weder aus der sprachlichen Tradition ableiten oder aus dem Kontext. Dasselbe gilt für “Neger” und für “Frohe Weihnachten”.

In meiner Kindheit war das Wort “Neger” eine neutrale und keineswegs verächtliche Bezeichnung, im Gegensatz zu “Nigger”. Wer Schwarze als “Nigger” bezeichnete, gab sich dadurch als Rassist oder Nazi zu erkennen. Heute wird von manchen die Geschichte umgedeutet: Es wird behauptet, “Neger” sei schon immer diskriminierend gemeint gewesen. Jüngere Leute mögen dies tatsächlich glauben; wenn ältere die behaupten, so passen sie sich wider besseres Wissen der “Political Correctness” an.

Sprach man früher von Lehrern im Allgemeinen, so waren selbstredend die Lehrerinnen eingeschlossen; so funktionierte nun einmal die deutsche Sprache. Meine man aber eine spezielle, so redete man sie mit Frau Lehrerin an, weil auch dies nicht nur die deutsche Sprache vorschrieb, sondern weil es eine Selbstverständlichkeit war. Und man wünschte sich, wenn Christkind oder Weihnachtsmann anrückten: “Frohe Weihnachten!” Keineswegs brachte das saisonale Servicepersonal die Geschenke.

Früher, in meiner Kindheit, hatten all dieses sprachlichen Gepflogenheiten keinen diskriminierenden Unterton. Wer Schwarze, Frauen oder Andersgläubige beleidigen wollte, musste härtere Kaliber auffahren. Dies bedeutet nicht, dass unserer Kultur die Diskriminierung von Farbigen, Frauen und Andersgläubigen fremd wäre, keineswegs. Doch diese Diskriminierung haust nicht in den Wörtern oder Phrasen, sondern in der handfesten Realität. Das Sein aber ändert man nicht im Zeichen. An der Lage eines Lehrlings ändert sich nichts dadurch, dass man ihn Azubi nennt.

Also, liebe LehrerInnen, liebe NegerInnen (ich weiß, das ist nicht ganz korrekt, aber hier stoße ich an Grenzen, SchwarzInnen, geht das?) – euch besonders, aber auch allen anderen wünsche ich von Herzen schöne Feiertage.

PS: Puuh, mein Gott (für Atheisten: Meine Güte)! Zum Glück ist “Herz” sächlich.

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