Satanismus?
Niemals auf diesem wunderschönen Erdenrund voll bizarrer Verbrechen gelang es der Polizei, eine satanistische Organisation des rituellen Missbrauchs zu überführen, bei dem Kinder durch Folter, Drogen, Hypnose und Vergewaltigung mental versklavt wurden.
Und so ist der Begriff “satanisch ritueller Missbrauch” fragwürdig geworden; viele suchen nach einer neuen Bezeichnung für das, was den mutmaßlichen Opfern einer systematischen Spaltung ihrer Persönlichkeit und der Dressur der entstehenden Persönlichkeitsfragmente widerfuhr.
Zu diesen Suchern zählt auch Thorsten Becker. Er ist Sozialarbeiter, Kultberater und Forscher. Er schlägt den Begriff “Ideologisch motivierte Verbrechen” vor. Der Begriff “Satanisch ritueller Missbrauch” werde manchmal, so begründet er seinen Vorschlag, reduziert auf das Bild der Praktiken intergenerativer satanischer Kulte, die auch Kindermord und das Verspeisen von Babys umfassen. Diese Definition sei also zu speziell.
Gegen einen solchen Begriffswandel habe ich prinzipiell nichts einzuwenden – Definitionen sind ja immer willkürlich und warum sollte man die eine willkürliche Definition nicht durch eine andere willkürliche Definition ersetzen.
Stutzig macht mich dann allerdings Beckers Aufzählung von Beispielen für “ideologisch motivierte Verbrechen”. Er führt nicht nur Straftaten auf, die von Hexenzirkeln und Voodoo-Kulten begangen wurden, sondern auch die Experimente zur Kontrolle des Bewusstseins, die von amerikanischen und kanadischen Ärzten mit Forschungsgeldern der CIA und anderen staatlichen Institutionen realisiert wurden.
Ideologisch motivierte Verbrechen?
Diese Experimente waren also, folgt man Becker, ideologisch motivierte Verbrechen. Man stelle sich vor, eine Gruppe von Bankräubern raube eine Bank aus. Die Täter werden gefasst und nach ihren Motiven befragt, geben sie zu Protokoll, Geld sei für sie der höchste Wert im Leben, Geld sei für sie fast so etwas wie eine Religion.
War dann der Bankraub ein ideologisch motiviertes Verbrechen? Vielleicht, wenn die Bankräuber nach der Tat zum Zündholz gegriffen und mit den Geldscheinen ein Rauchopfer dargebracht hätten.
Es trifft schon zu, dass die Experimente zur Bewusstseinskontrolle während des Kalten Krieges stattfanden und der Kalte Krieg war ja nicht zuletzt auch eine ideologische Auseinandersetzung. Genügt dies, diese Experimente (für die im übrigen niemals ein Experimentator rechtskräftig verurteilt wurde) als ideologisch motivierte Verbrechen zu bezeichnen.
Militärische und geheimdienstliche Ziele
Man halte sich vor Augen, dass diese Experimente keineswegs ideologischen Zielen dienten. Sie sollten handfeste militärische und geheimdienstliche Probleme lösen – real existierende Probleme, für die eine Lösung gefunden werden musste.
Und dies keineswegs aus ideologischen Gründen, sondern weil ohne adäquate Problemlösungen die militärischen und geheimdienstlichen Strategien, für die sich der freie Westen entschieden hatte, nicht hätten realisiert werden können.
Natürlich: Ideologien sind Systeme von Ideen und da menschliche Handlungen immer auf Ideen beruhen, ist in diesem weiten Sinne jedes Verbrechen ein ideologisches. Wenn wir den Begriff der Ideologie aber nicht so weit verwässern wollen, dann sollten wir uns schon zu einer Unterscheidungen zwischen ideologischen und beispielweise militärischen, wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Motiven bequemen.
Geheimdienste sind keine Kulte, auch keine politischen Kulte, deren Handeln allein ideologisch erklärt werden könnte oder müsste. Dies gilt insbesondere für die CIA, die im Grunde gar kein Geheimdienst ist, sondern die geheime Armee des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Ihre Hauptaufgabe ist nicht das Beschaffen von Informationen, sondern die Durchführung verdeckter Operationen.
Und die Mind-Control-Experimente, die in ihrem Auftrag verwirklicht wurden, sollten ihr helfen, die Effizienz der verdeckten Operationen zu steigern. Diese Operationen mögen ideologische Ziele verfolgen oder durch Ideologien begründet sein, aber an den unsichtbaren Fronten bestimmen Fakten ihren Verlauf und das Vorhandensein oder Fehlen von Methoden, ihnen angemessen zu begegnen.
Auch die US-Armee, die ebenfalls Mind-Control-Methoden entwickelte, ist kein Kult – und handfeste militärische Aufgaben lassen sich nicht mit rituellen Handlungen bewältigen. Die militärischen Führer mit Verantwortung für Soldaten, die an der Front ihre Knochen hinhalten, suchen vielmehr nach Methoden, die den Sieg gewährleisten und zugleich die eigenen Verluste so gering wie möglich halten.
Experten wie Thorsten Becker sind auf dem richtigen Weg, wenn sie ihre Aufmerksamkeit von der nebelhaften Welt eines fiktiv anmutenden satanisch rituellen Missbrauchs abziehen. Nun müssen sie lernen, ihr Fernglas und ihr Mikroskop richtig zu adjustieren, damit die tatsächlichen Prozesse, um die es hier geht, in ihren Fokus treten.
Es wäre fatal, die Täter vorschnell zu ‘kultifizieren’. Dadurch legt man sich nämlich fest, ihre Ziele und Motive als irrational und ihre Taten als Ausdruck einer zum Selbstzweck gewordenen Inhumanität zu betrachten. Durch diese Vorentscheidung schließt man logisch zwingend jene Menschen aus dem Kreis der Verdächtigen aus, die ein ausschließlich rationales Interesse an der mentalen Versklavung von Menschen haben könnten.
Zu diesen Verdächtigen zählen zweifellos Geheimdienste und Streitkräfte. Und selbst wenn man die Kult-Anhänger auch in diesen Institutionen wähnt, so verstellt man sich durch die Kult-Vorannahme den Blick auf das gesamte Spektrum möglicher Ziele und Motive dieser Verbrechen. Es sollte einleuchten, dass die Aufklärung dieser Straftaten und die Überführung der Täter durch einengende Sichtweisen nicht gerade erleichtert wird.
Natürlich sind schwarze Roben und Teufelsmasken Spuren, denen man nachgehen muss. Doch seitdem Menschen Verbrechen begehen, neigen sie dazu, falsche Spuren zu legen und eigene Taten anderen in die Schuhe zu schieben.
Okkultisten
Selbstverständlich gibt es weltweit okkultistische Gruppen, deren Weltbild zumindest bei oberflächlicher Betrachtung menschenverachtend erscheint. Für diese Gruppen hat sich die Bezeichnung ‘Satanisten’ eingebürgert, obwohl sich die meisten dieser Gruppe entschieden gegen eine derartige Einordnung verwahren würden.
Setzt man sich jedoch näher mit den Ideologien dieser Gruppen auseinander, dann stellt man fest, dass diese vielfach aus einem Sammelsurium von Einstellungen bestehen, die auch außerhalb dieser “destruktiven Kulte” weit verbreitet sind.
Hier denke ich beispielsweise an die Einstellung einer ’satanistischen Kirche’, dass man den sozial Schwachen nicht helfen dürfe. Ach, du meine Güte, wie viele Manchester-Liberale, Sozialdarwinisten und Harz-IV-Befürworter denken genauso? Leute mit diesen Einstellungen könnte man natürlich alle als Satansjünger bezeichnen, aber wer außer Fundamentalchristen hätte etwas davon?
Dass diese “destruktiven Kulte” tatsächlich kleine Kinder sexuell missbrauchen, foltern, hypnotisieren, unter Drogen setzen, mit Elektroschocks traktieren, um sie mental zu versklaven, ist keineswegs erwiesen. Es gibt dafür den den blassen Anschein eines Beweises. Und es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass sich aus den Glaubenslehren dieser Kulte foltergestützte Gehirnwäsche ableiten ließe.
Manche Kult-Kenner tun sich dennoch leicht, ’satanistische Zirkel’ pauschal diesem Verdacht auszusetzen – gelegentlich mit der Einschränkung, dass wahrscheinlich nicht alle so schlimm seien.
So geht das nicht, meine Damen und Herren Kult-Experten! So geht das wirklich nicht.
- Warum hackt ihr hier auf Leute ein, die auch nur von ihrer Religionsfreiheit und ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen?
- Warum sprecht ihr nur so selten und wenn, dann in nebelhaften Formulierungen, von jenen Gruppen, die tatsächlich und nachweislich Menschen gequält, hypnotisiert, mit Elektroschocks traktiert und unter Drogen gesetzt haben, mit dem erklärten Ziel, sie in willenlose Befehlsempfänger zu verwandeln, ohne dass irgendwelche kultischen Motive dabei eine Rolle gespielt hätten?
Die üblichen Verdächtigen
So geht das nicht, so geht das nicht, meine Damen und Herren Kult-Versteher.
In dem Film ‘Casablanca’ lässt der korrupte Captain Renault immer “die üblichen Verdächtigen” verhaften, wenn ihn an der Aufklärung eines Vorfalls nicht gelegen ist. Da ‘Casablanca’ ein Kult-Film ist, könnte mancher Kult-Versteher auf die Idee kommen, sich den Captain Renault zum Vorbild zu nehmen und die Verhaftung der einschlägigen Satanisten zu fordern (was praktischerweise folgenlos bliebe, da sie nie beim Namen genannt werden).
Doch Ernst beiseite: Ich will die hier keinen der üblichen Kult-Versteher verdächtigen, er stünde mit den tatsächlichen Tätern im Bunde und verfolge deren Verschleierungsstrategie.
Dies bedeutet nicht, dass ich ausschließen mag, der eine oder andere Experte, die eine oder andere Expertin für satanisch rituellen Missbrauch sei immer vor der Versuchung gefeit gewesen, mit Apparaten zu kooperieren, die ja letztlich für unser aller Sicherheit sorgen und sich darum weitgehend der demokratischen Kontrolle entziehen müssen.
Doch diese Welt ist schon nebelhaft genug, da muss ich nicht auch noch mit Nebelkerzen werfen.
Bei Licht betrachtet wissen wir de facto sehr viel über das Phänomen, das fälschlich als “satanisch ritueller Missbrauch” bezeichnet wird. Wir wissen sehr viel und können, Hand aufs Herz, nur sehr, sehr wenig beweisen.
Seit 1994 erforsche ich diesen Komplex systematisch und ich habe an mir beobachtet, das ich im Laufe der Jahre, ohne bewusste Absicht, immer weniger nach Beweisen suchte und immer mehr nach stringenten Argumenten für und gegen die eine oder andere Position. Und dies nicht etwa, weil ich Beweise gering schätze, sondern weil Beweise in dieser vertrackten Grauzone ein wertvolles, aber überaus seltenes Gut sind.
Die Experimente des schottisch-amerikanischen Psychiaters Donald Ewen Cameron beispielsweise waren keine “ideologisch motivierten Verbrechen”.
- Er selbst bezeichnete sie als “wohltätige Gehirnwäsche”, weil mit ihnen “psychisch schwer kranken Menschen” geholfen würde. Das von diesem Psychiater vorgeschützte Motiv war also ein ärztliches.
- Das Motiv seines Auftraggebers, der einen Teil der Kosten übernahm, war ebenfalls kein ideologisches. Der amerikanische Geheimdienst CIA wollte vielmehr herausfinden, ob Camerons “Behandlungsmethoden” effektiv für seine klandestinen Zwecke genutzt werden konnten. Die Motive der CIA waren also geheimdienstliche. Bei den Experimenten Camerons handelte es sich de facto um einen wesentlichen Bestandteil des CIA-Gehirnwäsche-Projekts MKULTRA.
Literatur
Becker, T. (2008). Re-Searching for New Perspectives: Ritual Abuse / Ritual Violence as Ideologically Motivated Crime. In: Noblitt, R. & Perskin Noblitt, P. (eds.) Ritual Abuse in the Twenty-First Century. Psychological, Forensic, Social, and Political Considerations. Bandon, OR: Robert D. Reed Publishers
Collins, A. (1988). In the Sleep Room. The Story of the CIA Brainwashing Experiments in Canada. Toronto, Lester & Orpen Dennys Ltd.
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