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Satanismus, Ritual, Missbrauch

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Gute Christen, böse Satanisten

Angela Lenz (ein Pseudonym) wurde seit frühester Kindheit bis in ihr Erwachsenenleben absichtlich in eine multiple Persönlichkeit verwandelt. Die künstlich erzeugten Pseudo-Persönlichkeiten wurden mit brutalen Methoden abgerichtet wie Hunde.

Die Journalistin Ulla Fröhling schilderte den Leidensweg dieser Frau in ihrem Buch “Vater unser in der Hölle”. Die erste Auflage erschien 1996, inzwischen liegt eine zweite, überarbeitete und erweiterte Taschenbuch-Version vor.

Im Kapitel “Exkurs: Satan revisited” setzt sich Ulla Fröhling mit den mutmaßlichen Tätern auseinander, die angeblich Menschen wie ihre Protagonistin Angela Lenz einer Bewusstseinskontrolle durch Persönlichkeitsspaltung unterziehen.

Sie beginnt im Stil sattsam bekannter Traktätchen-Literatur:

“Seit Entstehung des Christentums gibt es auch Menschen, die das Gegenteil verehren – wie immer man es nennen mag: Luzifer – den gefallenen Engel -, Satan, den Teufel oder das Böse.”

Was dann über Seiten wortreich an Unsäglichem folgt, lässt sich auf die simple Formel eindampfen: Das Christentum hält die Gläubigen zum Guten an, der Satanismus seine Jünger zum Bösen. Liegt es da nicht nahe, dass Satanisten kleine Kinder foltern, unter Drogen setzen, mit Elektroschocks traktieren, durch Reizentzug desorientieren, hypnotisieren, ihre Persönlichkeit absichtlich spalten und die Persönlichkeitsfragmente für sinistre Ziele dressieren?

Dies ist in der Tat das Hauptargument: Satanisten lieben das Böse und darum ist ihnen alles zuzutrauen. Klar, es gibt da auch noch ein paar untergeordnete Begleitargumente: Satanisten sind überall; weltweit treiben zahllose Kulte und Sekten ihr Unwesen. Es wurden Menschen, die sich zum Satanismus bekannten oder des Satanismus’ verdächtig waren, wegen abscheulicher Verbrechen verurteilt. Und dann erst die Ideologie!

“Während Christen Gott demütig um Hilfe bitten (‘aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe, o Herr’), versuchen Satanisten mit schwarzmagischen Mitteln Macht über ihr eigenes Schicksal zu erzwingen: ‘Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz – Liebe unter Willen’, ist der Leitsatz von Aleister Crowley.”

Fakt ist, dass noch keine satanistische Gruppierung überführt wurde, Bewusstseinskontrolle durch Persönlichkeitsspaltung betrieben zu haben. Wer sich in die seriöse, wissenschaftliche Literatur zum Satanismus bzw. Luziferismus versenkt, kann keine eindeutigen Bezüge zwischen diesen Ideologien und der absichtlichen mentalen Versklavung von Kindern entdecken.

Man kann ja vom Satanismus bzw. Luziferismus halten was man mag, aber man sollte doch nicht so naiv sein zu glauben, dass Satanisten oder Luziferisten die christliche Vorstellung Satans oder Luzifers anbeten.

Für diese Leute ist Satan (bzw. Luzifer) ein guter Mann, der die Menschen von der Last einer menschenverachtenden christlichen Zwangsmoral befreit.

Vor allem aber glaubt der Satanist, dass er als guter Satanist ein schrankenloser Egoist sein müsse. Er wird sich also hüten, zu Ehren Satans Verbrechen zu begehen. So weit geht die Liebe eines Satanisten zu Satan nun doch wieder nicht.

Im Übrigen würde Satan, gäbe es ihn und wäre er so, wie die Satanisten glauben, ein solches Opfer auch missbilligen, weil ein schrankenloser Egoist keine Opfer darbringt.

Und wie sieht es mit den guten Christen aus, die ihren Herren beständig um Leitung auf einem gottgerechten Wege anflehen?

  • Hexenverbrennung, schon vergessen?
  • Die Bekehrung der Heiden mit Feuer und Schwert, schon vergessen?
  • Allerchristlichste Diktaturen, überall in der Welt, zum Beispiel in Lateinamerika, schon vergessen?
  • Woher stammen denn die Folterkünste und Foltererfahrungen, die sich die Bewusstseinskontrolleure heute zu nutze machen, wenn nicht aus christlichem Mittelalter und christlicher Neuzeit, wenn nicht aus den Folterkellern der Heiligen Inquisition?

Jeder Kriminalist, der rätselhafte Taten aufzuklären hat, fragt sich:

  • Wer hat ein Motiv?
  • Wer hat eine Vorgeschichte vergleichbarer Taten?
  • Verrät der Tathergang etwas über potenzielle Täter?

Richten wir in diesem Sinne unseren Blick auf “God’s Own Country”, auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist bewiesen und nicht nur ein Gerücht, dass CIA-Spezialisten im Rahmen ihrer Gehirnwäsche-Projekte absichtlich multiple Persönlichkeiten erzeugt haben. Es ist erwiesen, dass sie Mandschurische Kandidaten zu produzieren versucht haben, also Menschen, die ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen jeden Befehl ausführen, und koste es auch ihr Leben.

Wir wissen, dass Militär und Geheimdienste dieses Staates, in dem die überwiegende Mehrheit der Bürger und Wähler an den christlichen Gott glaubt, Menschen entführen und foltern.

Und dann erst die Motive. Nicht die pure Lust am Bösen, wie sie den Satanisten unterstellt wird, könnte der Grund  für Bewusstseinskontrolle durch Persönlichkeitsspaltung sein. Welcher Geheimdienst, welche Streitkräfte hätten denn nicht im Ernstfall Himmelfahrtskommandos zu besetzen?

Lichtblicke

Ja, ich will nicht verhehlen, dass es auch Lichtblicke gibt in diesem Buch. Selbst in der magersten Suppe schwimmen auch ein paar Fettaugen. So viel Fett ist ja schon in den Tränen, die der Koch hineingeweint hat. Nach all dem Satanistenzauber, der sich über mehr als vierhundert Seiten ergießt, lesen wir zum Schluss im Kapitel “Ten Years After”:

“Selten scheint die Wahrheit auf, so wie zum Beispiel am 21. Juni 2007, als die CIA einige Geheimdokumente über dunkle Ecken der eigenen Vergangenheit veröffentlichte. In dürren, kalten Worten ist da die Rede von: ‘Experimenten zur Verhaltensänderungen an ahnungslosen US-Bürgern’. Manche Überlebende ritueller Gewalt in den USA berichten von diesen Experimenten. Manche in Deutschland auch.”

Selten scheint die Wahrheit auf… ja, in der Tat, auch in Ulla Fröhlings Schrift: “Vater unser in der Hölle.”

Wenn ich ein Polizist wäre, der mit einem Verbrechen, bei dem Folter-Gehirnwäsche eine Rolle spielt, konfrontiert würde, dann würde ich neben den üblichen Fragen (Wer hat ein Motiv? Auf welche Art von Tätern lässt der Tathergang schließen?) mir vor allem auch die Frage stellen, ob die Täter möglicherweise versucht haben, ihre Spuren zu verwischen oder durch falsche Spuren von sich abzulenken.

Der “Satanismus” bei dieser Art von Verbrechen sieht jedenfalls ganz gewaltig nach einem Täuschungsmanöver aus.

Ein Brief

Angela Lenz unterzog sich einer Psychotherapie, doch auch dieser gelang es nicht, die Horror-Story durch ein Happy End erträglicher zu machen. In der Neuauflage druckt Fröhling einen Brief von Angela Lenz an sie vom August 2006 ab. Die Journalistin schreibt dazu, Angela Lenz habe es wohl geschafft, dennoch sei es ein bitterer Brief.

Was ist das Bittere an diesem Brief? Angela Lenz wurde zutiefst enttäuscht. Doch diese Enttäuschungen wären vermeidbar gewesen.

Angela Lenz berichtet, dass sie einige sehr kluge Bücher über die Behandlung traumatisierter Menschen in der Hand gehabt habe. Doch leider würde in diesen Büchern nicht gesagt, wie es nach der Therapie weitergehe.

Sie fragt:

“Nach der Trauma-Arbeit und der anschließenden ‘Trauerzeit’ hört doch nicht alles auf. Ist man danach gesund? Was bedeutet das eigentlich, gesund zu sein? Manchmal fühle ich mich kränker als je zuvor. Ist bei mir etwas schiefgelaufen?”

Nein, es ist nichts schiefgelaufen. Dieses Ergebnis war zu erwarten. Leider erwecken manche Psychotherapeuten und Autoren schlauer Bücher falsche Hoffnungen, sei es aus Dummheit, sei es aus Unwissenheit, sei es aus Geschäftsinteressen oder sei es auch in der wohlmeinenden Absicht, die Patienten zu motivieren.

Dabei unterlassen es diese hoffnungsfroh gestimmten Psychotherapeuten und Autoren nicht nur, ihren Klienten mitzuteilen, dass die Möglichkeiten einer Psychotherapie begrenzt sind und nur so weit reichen wie die Selbstheilungsfähigkeit des Betroffenen. Zudem verschweigen sie (oder sie wissen es nicht besser), dass der so genannte satanisch rituelle Missbrauch (SRM) mit unausweichlichen Konsequenzen verbunden ist, die keine Therapie und sonstige Form der Hilfe nachträglich korrigieren kann.

Ich spreche hier natürlich nur von foltergestützter Bewusstseinskontrolle. Nicht jede extrem sadistische Misshandlung von Kindern, so teuflisch sie auch immer sein mag, ist “satanisch ritueller Missbrauch” im hier thematisierten Sinn.

Beim so genannten satanisch rituellen Missbrauch, der mit Mind-Control-Methoden operiert, wird die Persönlichkeit des Opfers seit frühester Kindheit mit psychologisch ausgefeilten Methoden systematisch gespalten: u. a. durch den fein abgestimmten Einsatz von Drogen, Folter, Hypnose, sensorischer Deprivation, Elektroschocks und durch eine brutale und erniedrigende “Erziehung”.

Das oberste Ziel dieser Maßnahmen besteht darin, die Entwicklung einer integralen Identität, einer in sich geschlossenen, singulären Persönlichkeit gar nicht erst zuzulassen.

Denn dies ist die unverzichtbare Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren des multiplen Persönlichkeitssystems im Sinne der Täter.

Bildet sich nämlich eine normale, nicht multiple Basispersönlichkeit, dann wird diese immer wieder hervortreten. Keine Gewalt und keine psychologische Raffinesse können dies verhindern.

Woran liegt das?

Die Identitätsentwicklung beginnt in einer sehr frühen Phase des menschlichen Lebens; ein Identitätskern wird bereits in früher Kindheit geschaffen. Dieser Identitätskern entsteht nicht in einem simplen Lernprozess, sondern es handelt sich um eine Prägung. Sie vollzieht sich rasend schnell. Anders als beim normalen Lernen bedarf sie keiner beständigen Wiederholung. Es genügt, wenn die identitätsstiftenden Interaktionen einmal vollzogen werden.

Der Identitätskern entwickelt sich natürlich auf Grundlage genetischer Dispositionen. Die Feinheiten und Nuancen der Persönlichkeit bilden sich dann später auf dieser Basis durch Konditionierungen heraus. Dies ist in der Regel ein lebenslanger Prozess.

Hat sich also eine integrale Basis-Persönlichkeit etabliert, dann können die Täter nur noch ein oberflächliches, instabiles multiples Persönlichkeitssystem aufprägen, das sich schnell wieder verflüchtigt.

Es gibt eindrucksvolle Experimente, die beweisen, dass man bei gut hypnotisierbaren Erwachsenen eine künstliche multiple Persönlichkeitsstruktur ausprägen kann, doch diese ist im Regelfall nicht sehr belastbar.

Schon nach kurzer Zeit tritt in aller Regel die Originalpersönlichkeit wieder hervor. Auch Stress-Situationen hält die hypnotisch induzierte multiple Persönlichkeit nicht stand, weil das Individuum in solchen Situationen reflexhaft und gewohnheitsmäßig reagiert. Dann tritt natürlich die Ursprungspersönlichkeit wieder hervor. Diese kann aber nur wiederkehren, wenn sie sich zuvor herausgebildet hat.

Und aus diesem Grunde beginnen die Bewusstseinskontrolleure mit ihrer Arbeit in frühester Kindheit.

  • Sie konditionieren ein multiples anstelle eines integralen Systems.
  • Sie konditionieren zudem ein multiples System, das nicht zum Widerstand gegen ihre Kommandos in der Lage ist.
  • Sie konditionieren ein multiples System, das nichts anderes kennt als Unterwerfung unter den Willen der Täter.
  • Sie konditionieren  ein multiples System, das sich abgrundtief unsicher fühlt bei der leisesten Regung eines abweichenden Willens.
  • Sie konditionieren schließlich ein multiples System, das nur eine Frontperson zum Bewusstsein zulässt – und diese Frontperson weiß nicht, dass sie keine integrale Persönlichkeit ist, sie weiß nicht, dass sie ein mentaler Sklave ist.
  • Sie benutzen zur Konditionierung Hypnose, Folter und Belohnungen, diverse Drogen, Elektrokrampfbehandlung, systematischen Reizentzug sowie andere geeignete Verfahren aus dem Spektrum der Psychiatrie und Neurologie.

Keine Therapie, keine sonstwie geartete Maßnahme kann die “Alters” einer so systematisch gespaltenen Persönlichkeit “verschmelzen”. Ein seit frühester Kindheit in dieser Weise traktierter Mensch bleibt immer multipel. Hat sich das Zeitfenster für die Entwicklung einer authentischen Persönlichkeit geschlossen, wird es sich nie wieder öffnen.

Eine Therapie kann bestenfalls die volle Bewusstheit der Multiplizität erreichen und sie kann den Sklaven befreien, ihn befähigen, den Kommandos der Täter zu widerstehen. Aber sie kann nicht rückgängig machen, was aus psycho-biologischen Gründen nicht rückgängig gemacht werden kann: die multiple Identität.

Ein Betroffener kann zwar lernen, sich nach außen als integrale Persönlichkeit darzustellen; und vielleicht glaubt er selbst einmal daran, eine solche zu sein. Aber das ist dennoch nur eine Simulation.

Und so schreibt Angela Lenz:

“Klar, vieles hat sich verbessert und ist einfacher geworden. Ich falle nicht mehr auf und bekomme mein Leben halbwegs geregelt. Ich muss nicht mehr ständig Angst haben, dass ein anderer Teil von mir etwas tut, was ich nicht mitbekomme. Ich muss keine Angst mehr haben, dass ‘ich’ Dinge tue, durch die ich wieder Ärger bekomme.”

Ja, in der Tat, und das ist ein großes Geschenk!

Doch, so schreibt Angela Lenz in ihrem Brief, eine wirkliche Einheit sei sie immer noch nicht. Die Automatismen seien immer noch da. Die Persönlichkeitswechsel orientierten sich nicht an dem, was gut tue, sondern was in der Außenwelt gerade gebraucht werde. Dadurch fühle sie sich fremdbestimmt, isoliert und einsam.

Kurzum: Angela Lenz ist aus einem mentalen Roboter, der bestimmte Eigentümer hatte, zu einem herrenlosen Roboter geworden, der vieler Herren Diener sein kann. Bosse, die andere Menschen gern nach ihrer Pfeife tanzen lassen und ausbeuten, könnten sich eigentlich glücklich schätzen, hätten sie so eine wie Angela Lenz. Sie ist nun eine unausgefüllte Persönlichkeitsmatrix für die Bedürfnisse des Kapitalismus im Allgemeinen und der psychiatrisch-psychotherapeutischen Bewusstseinsindustrie im Besonderen.

“Das Schlimmste ist, dass ich durch diese ‘Gesundung’ nun fast alles aus meinem Leben weiß. Und ich weiß es nicht nur, ich spüre es auch. Das, was sich auf viele Anteile verteilt hatte, weil es sonst für eine Person zu viel gewesen wäre, habe ich nun alles auf einmal. Trauma-Arbeit hat geholfen, dass nicht mehr alles so extrem schlimm ist wie früher. Nein, ich bin nicht ‘gesünder’. Ich bin nur ‘anders’ geworden.”

…dass nicht mehr alles so schlimm ist…

Jede Erleichterung ist natürlich begrüßenswert, aber das reicht nicht, liebe Traumatherapeutinnen und Traumatherapeuten. Lasst eure Klientinnen und Klienten doch nicht zurück als Schattenexistenzen, die froh sein können, wenn sie den Anforderungen anderer genügen. Oder seht ihr das als euren Auftrag? Ist das euer Auftrag?

Opfer von Gehirnwäsche durch Persönlichkeitsspaltung haben immer noch eine Chance, ihr Leben mit Sinn zu erfüllen. Um mit Victor Frankl zu sprechen: Sie können die Trotzmacht des Geistes nutzen. Sie können lernen, ein multiples System ohne fremde Herren zu sein. Dazu gehört es auch, die früheren Herren zu kennen und ihre Motive zu begreifen. Was waren denn das für “Satanisten”? Welche Uniform kommt zum Vorschein, wenn sie daheim ihre Satanskutten ablegen?

Satanismus

Von den Theoretikern des so genannten satanisch rituellen Missbrauchs wird der Begriff “Satanismus” heute überwiegend als Synonym für alles Böse mit esoterischem Beiwerk gebraucht.

Religionswissenschaftlich, soziologisch und psychologisch ist diese Begriffsverwendung zweifellos höchst unbefriedigend, aber sie scheint die Bedürfnisse dieser Satanismus-Theoretiker zu befriedigen. Es fragt sich nur, welche Bedürfnisse das sind.

Wie auch immer. Unpräzise Begriffe begünstigen stets die Verschleierung von Sachverhalten, ob dies nun beabsichtigt ist oder nicht. Daher empfehle ich dringend, sich in die Thematik “Satanismus” einzulesen, wenn man sich mit dem “Satanisch Rituellen Missbrauch” auseinandersetzt – und sich nicht allein auf die Erläuterungen der Theoretiker des SRM zu verlassen.

Akademisch, trocken, aber informativ ist z. B.:

Karl R. H. Frick: Die Satanisten. Materialien zur Geschichte der Anhänger des Satanismus und ihrer Gegner. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz, 1985.

Wer mag hinter Satans Masken stecken?

In seinem Nachwort zu Fröhlings Buch beklagt ein Experte für “rituellen Missbrauch”, der Sozialpädagoge Thorsten Becker die Neigung vieler Menschen, dieses Thema zu verdrängen oder zu verleugnen. Sogar Fachleute seien vor Fehleinschätzungen nicht gefeit.

Den “besten Beweis” dafür liefere der amerikanische Spezialist für die Multiple Persönlichkeitsstörung, Frank Putnam. Putnam argumentiert, dass sich Kulte, die kriminell werden, sehr schnell auflösen. Aus dieser Beobachtung leitet er die Hypothese ab, dass “ritueller Missbrauch kein Bestandteil einer Ideologie satanischer Kulte sei”.

Becker versucht diese Hypothese durch eine Reihe von Gegenbeispielen zu entkräften, die ich allesamt nicht für überzeugend halte. Anstatt dieses Probleme auf der fragwürdigen Ebene von Beispielen und Gegenbeispielen abzuhandeln, ziehe ich eine sachlogische Analyse des Problems vor.

Definieren wir zuvor rituellen Missbrauch im Sinne von Fröhlings Buch als die systematische Erzeugung einer Multiplen Persönlichkeitsstörung in frühester Kindheit und die brutale Dressur der entstehenden Persönlichkeitsfragmente.

Vorauszusetzen ist die Tatsache, dass bisher noch kein Satanistenkult überführt wurde, rituellen Missbrauch im Sinne obiger Definition betrieben zu haben.

Zweifellos verhöhnen Satanisten die christliche Moral und es wurden auch schon Anhänger von Ideologien dieser Art einschlägiger, teilweise höchst abscheulicher Verbrechen überführt. Zu diesen Verbrechen zählte aber nicht die mentale Versklavung von Menschen durch Drogen, Folter, Hypnose, sensorische Deprivation, Elektroschocks u. ä.

Zahllose Opfer in vielen Weltgegenden berichten allerdings, sie seien von Satanisten einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Nicht alle, aber doch ein substanzieller Teil dieser Berichte klingt glaubwürdig.

Gibt es einen gemeinsamen Nenner, der diesen Berichten zugrunde liegt. Ich denke schon. Er besteht aus folgenden Komponenten:

  • Die Täter arbeiteten offenbar nach einem Manual. Ihr Vorgehen war systematisch und psychologisch wohl begründet.
  • Die Täter waren Experten, die ihr Handwerk verstanden. Viele waren offenbar Psychiater, Psychologen oder andere professionelle Psycho-Spezialisten.
  • Die Täter operieren weltweit nach demselben System der Bewusstseinskontrolle, die Variationen sind eher nebensächlich.
  • Die Täter waren in der Lage, Jugendämter, Polizei, Staatsanwälte, Richter und andere Verantwortliche im Umfeld ihrer Opfer zu kontrollieren.
  • Das Ziel der Täter bestand darin, die Opfer zu bedingungslosem Gehorsam abzurichten und deren Erinnerung an die Tatsache der Dressur zu blockieren.
  • Die Täter verfügten über genügend Mittel, um diese aufwändige Prozedur, die sich über viele Jahre erstreckt, zu finanzieren.
  • Die Täter waren Mitglieder einer auf Dauer angelegten Organisation, die einen derart langfristigen Prozess zu realisieren in der Lage ist.

Und nun fragen wir uns, welche Menschengruppen auf diesem Planeten in der Lage wären, diese Bedingungen zu erfüllen. Satanisten? Was müssten das wohl für Satanisten sein? Doch wohl nur solche, die bei den Herren der Welt aus- und eingehen. Oder gar zu diesen zählen.

Auch wenn ich das internationale Großbürgertum nicht unbedingt für einen Hort der Tugend halte, kann ich mir nicht vorstellen, dass diese Leute gern direkten Kontakt mit Gestalten pflegen, die kleine Kinder foltern und in jeder erdenklichen Hinsicht bestialisch misshandeln und missbrauchen – und zwar aus kultischen Gründen, also ohne jeden Nutzen für jene, die Reichtum, die unermesslichen Reichtum zu verteidigen haben.

Sind gar Geheimgesellschaften am Werke, z. B. die legendenumwobenen Illuminaten? Auch wenn ich Verschwörungstheorien nicht abhold bin, weil die menschliche Geschichte bekanntermaßen seit Adam und Eva eine Kette von Verschwörungen war, so glaube ich doch, dass wir in diesem Falle mit einer weniger spektakulären Erklärung vorlieb nehmen sollten.

Werfen wir doch einfach die bereits erwähnten Fragen auf, die sich jeder Kriminalist stellt, der eine Ermittlung beginnt:

  • Wer hat ein Motiv, wem nützt die Tat?
  • Verrät der Tathergang etwas über den Täter?
  • Wurden Spuren verwischt oder falsche Spuren gelegt?

Zu 1: Ein starkes Motiv haben selbstverständlich Geheimdienste und Streitkräfte. In diesen Bereichen braucht man für alle Arten von Himmelfahrtskommandos Menschen, die bedingungslos gehorchen, und koste es auch das eigene Leben.

Zu 2: Wen wundert es da, dass beispielsweise der Geheimdienst CIA seit seiner Gründung nach Möglichkeiten suchte, Menschen mental zu versklaven und so gegen ihren Willen und ohne ihr Wissen zu Handlungen zu zwingen, die ihren eigenen Interessen widersprechen, ja, sogar dem Selbsterhaltungstrieb. Wir wissen aus inzwischen freigegebenen Akten, dass dieser Geheimdienst zu diesem Zwecke mit Drogen, Hypnose, Folter, Elektroschocks, sensorischer Deprivation und allen erdenklichen Verfahren zur Bewusstseins- und Persönlichkeitsspaltung experimentierte.

Zu 3: Es ist wirklich schwer zu glauben, dass Täter, die derart verabscheuungswürdige Verbrechen begehen, ihren Opfern ihre wahre Identität verraten. Sie müssen ja mit Versagern rechnen, also mit Opfern, die sich später an die Gehirnwäsche erinnern, auch wenn diese darauf abzielte, ihr Gedächtnis selektiv zu manipulieren.

Daher ist es überaus wahrscheinlich, dass der Satanismus und die Rituale beim satanisch rituellen Missbrauch eine Camouflage sind.

Satanisten? Echte? Oder kommen, wenn die Satansroben fallen, Uniformen oder die Trenchcoats von Agenten zum Vorschein?

Fazit

Das Motto einer der prägenden Gestalten der Geheimdienstszene im 20. Jahrhundert, des CIA-Direktors Allen Dulles lautete:

“Nichts ist, was es zu sein scheint!”

Auch wenn dies nicht nur übertrieben klingt, sondern ist, kann es dennoch kaum überraschen, dass ein erfolgreicher Oberspion so denkt.

Der so genannte satanisch rituelle Missbrauch ist aus meiner Sicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht das, was er zu sein scheint.

Die Bewusstseinskontroll-Methoden, die von den angeblichen Satanisten eingesetzt werden, beruhen im Kern auf Verfahren, die von der Militärpsychiatrie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Behandlung von Kriegshysterikern entwickelt wurden.

Diese Behandlung bestand aus der Kombination zweier psychiatrischer Verfahren, die bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts voll ausgereift waren, nämlich

  • die “Therapie” mit schmerzhaften elektrischen Strömen  und
  • die systematische Persönlichkeitsspaltung durch Hypnose.

Durch diese Methodenkombination machte die Militärpsychiatrie im 1. und 2. Weltkrieg Soldaten, die im Stahlgewitter psychisch dekompensiert waren, wieder fit für die Front oder zumindest für die Rüstungsindustrie.

Es kann natürlich sein, dass Satanisten diesen Methodenmix aufgegriffen haben, um – warum auch immer.

Tatsache ist, dass Geheimdienste und Streitkräfte in den Vereinigten Staaten (und höchstwahrscheinlich auch anderswo) mit oben genannten und verwandten Methoden versuchten, Menschen zu manipulieren. Das Endziel: der bedingungslos gehorsame “Manchurian Candidate”.

Wenn ich Polizist und mit einem Fall von angeblich satanisch rituellem Missbrauch konfrontiert wäre, würde ich den Kreis der Verdächtigen nicht vorschnell auf Satanisten einengen.

Nachbemerkung

Trotz des überwiegend kritischen Tenors meiner Rezension des Werks von Ulla Fröhling, fühle ich mich gedrängt, mit besonderem Nachdruck hervorzuheben, dass es sich, bei aller Kritik, um ein überaus verdienstvolles Buch handelt.

Erstens zählt es zu den wenigen Arbeiten seriöser Journalisten zu diesem Thema und zweitens steht es inhaltlich und stilistisch weit über dem Niveau der meisten Konkurrenzprodukte.

Es ist wirklich nicht leicht, den Leser durch ein so grauenvolles Thema zu führen und ihn von der ersten bis zur letzten Zeile “bei der Stange zu halten”. Ulla Fröhling hat sich dieser Herausforderung gewachsen gezeigt.

Dieses Buch ist in jedem Fall lesenswert. Soweit ich dieses Gebiet zu überblicken vermag, wurde es von der Kritik im Allgemeinen sehr positiv aufgenommen und für viele Betroffene, denen ja nur zu oft nicht geglaubt wird, ist es ein ein unschätzbar wertvolles Mittel, um zu belegen, dass es “so etwas” tatsächlich gibt – obwohl natürlich nichts ist, was es zu sein scheint.

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