Zwei Seelen, ach

Bildnachweis: knipseline / pixelio.de
Was Placebos und Placebo-Therapien betrifft, wohnen, ach, zwei Seelen in meiner Brust. Die eine Seele spricht mit der Stimme des Herzens. Sie sagt: Wer heilt, hat recht. Hauptsache, den Leuten geht es besser. Die Stimme des Verstandes aber wird nicht müde, mich mit der Einsicht zu bedrängen, dass der Placebo-Schwindel die Fähigkeit zu kritischem Denken untergräbt.
Was ist wichtiger: Dass sich die Menschen um jeden Preis wohlfühlen, auf Teufel komm’ raus wohlfühlen oder dass sie sich, eventuell mit Einbußen bei ihrem Wohlbefinden, ihrer realen Situation bewusst werden.
Wenden wir uns zunächst der logischen Struktur des Problems zu:
Die Heilformel
Die Wirkung von Interventionen eines Heilers (Arztes, Heilpraktikers, Psychotherapeuten, einer weisen Frau, eines Schamanen etc.) setzt sich wie folgt zusammen:
Heilwirkung (HW) =
- spezifische Wirkungen (sW)
- + unspezifische Wirkungen (uW).
Durch Einsetzung ergibt sich zum Beispiel:
HW (Akupunktur) =
- sW (Nadelung)
- + uW (Placebo-Effekt, Allegianz-Effekt).
Placebo-Effekt = positive Erfolgserwartung des Patienten.
Allegianz-Effekt = Begeisterung des Therapeuten von seiner Methode.
sW und/oder uW können natürlich auch null sein. Der Wert von uW und sW ist abhängig vom Mittel und der Erkrankung bzw. Störung sowie zahlreichen Kontextbedingungen.
Bei Befindlichkeitsstörungen (z. B. Schmerzen, Traurigkeit, Energielosigkeit u. ä.) ist uW verhältnismäßig hoch, bei anderen Erkrankungen ist uW eher niedrig oder gleich null.
Die HW ist allerdings nicht der einzige relevante Faktor. Die zweite Variable ist die spontane, aber vorübergehende Schwankung im Krankheitsverlauf (sS; dieser Wert kann auch negativ sein), die dritte die spontane Heilung bzw. Besserung des Leidens (sH).
Der nach einer Behandlung gemessene Gesamteffekt (GE) setzt sich also zusammen aus: GE=HW+sS+sH.
Auch bei den sS und sH gilt, was für die uW gesagt wurde. Sie spielen insbesondere bei Befindlichkeitsstörungen eine große Rolle. Der Bedeutung dieser spontanen Effekte (die auch ohne Einwirkung eines Heilers oder Heilmittels zustande gekommen wären) werde ich mich in einem späteren Abschnitt dieses Aufsatzes zuwenden. Widmen wir uns zunächst der heiligen Kuh der Alternativmedizin und der Psychiatrie, dem Placebo-Effekt.
Echte Naturheilmittel
Ausnahmslos alle Heilmittel und Methoden können mit einem Placebo-Effekt verbunden sein. Der Placebo-Effekt kann mit einer echten Heilwirkung verbunden sein oder selbständig auftreten. Von einer Placebo-Pille oder einer Placebo-Methode spricht man, wenn das Medikament oder das Verfahren keine objektivierbaren spezifischen Wirkungen haben. Solche Pillen oder Methoden nenne ich “echte Naturheilmittel”. Sie beruhen auf einer wohltätigen Lüge.
Worin besteht nun die wohltätige Lüge bei einem echten Naturheilmittel? Warum unterscheide ich eigentlich zwischen echten und unechten Naturheilmitteln?
Im Grunde sind alle Heilmittel Naturheilmittel und alle Heilungen natürliche Heilungen. Denn gegen die Natur kann nichts heilen. Daher ist die naturwissenschaftlich orientierte Medizin die eigentliche Naturheilkunde.
Wenn ich von echten Naturheilmitteln spreche, dann meine ich jene Heilmittel, die von ihren Herstellern und Anwendern als Gegensätze zur “Chemie” verkauft werden. Diese Verkaufsstrategie zielt also vom Ansatz her auf den Placebo-Effekt (und sie hat ihn auch nötig, weil “keine Chemie” ja nur ein Euphemismus für “keine sW” ist).
Dies ist der erste Aspekt der wohltätigen Lüge. Man rechnet damit, dass die Erwartung einer Heilwirkung allein schon zu einer Verbesserung des Befindens der Patienten führen werde. Der zweite Aspekt besteht dann darin, auf sS und sH zu vertrauen und diese Wirkungen dann dem echten Naturheilmittel zuzuschreiben (“Eine Erkältung dauert ohne Arzt eine Woche, mit Arzt aber nur sieben Tage”).
Dadurch wird die Lüge zu einer Wohltat für alle – für Patienten und Heiler also gleichermaßen.
Wenn Heilmittel eine sW > 0 haben, dann sind es keine echten Naturheilmittel, sondern banale schulmedizinische, als pure “Chemie”. Ihnen fehlt dann der magische Zauber.
Das Opium beispielsweise ist ein reines Naturprodukt. Es hat aber, wie alle seine Derivate (Morphin, Heroin u. v. m.) neben den uW (die beachtlich sind) auch eindeutige sW und ist demgemäß kein echtes Naturheilmittel und seine Derivate erfreuen sich daher in der Schulmedizin großer Beliebtheit (wenngleich die hysterische Antidrogenatmosphäre leider immer noch verhindert, dass Schmerzpatienten angemessen behandelt und dass die anderen segensreichen Wirkungen dieser Substanzen voll ausgeschöpft werden, z. B. bei Psychotikern und Depressiven).
Dies ist die nackte Mathematik des Placeboeffekts. Doch lassen wir zunächst unserem Gefühl freien Lauf:
Die Stimme des Herzens
Placebos sind Medikamente oder Verfahren, deren potentielle Wirkung man (noch nicht) physiologisch bzw. allgemein naturwissenschaftlich erklären kann. Aber Placebos wirken. Nicht immer, aber bei vielen Krankheiten erstaunlich häufig.
Und darauf kommt es an. Die Mainstream-Medizin und -Psychotherapie sollte dies endlich zur Kenntnis nehmen und ihre Geringschätzung gegenüber alternativen, aber wirksamen Behandlungsmethoden aufgeben.
Magische Mittel sind materielle Gegenstände mit folgenden Eigenschaften:
- Sie werden durch die Kraft des Glaubens aktiviert.
- Sie wirken dann positiv auf die Psyche und oder den Körper ein.
- Diese Wirkung kann mit den Naturgesetzen nicht erklärt werden.
Falls sich in Experimenten mit einem magischen Mittel positive oder negative Wirkungen nachweisen lassen, so stuft die naturwissenschaftliche Forschung diese als Placebo-Effekte ein.
Die magische Wirkung ist jedoch eine existenzielle Erfahrung, die ein intensives Gefühl der Gewissheit hervorruft.
Die Macht dieser Mittel wird durch die Nützlichkeit des Glaubens an sie bestätigt.
Und oft wird ihre Wirkung sogar verstärkt, wenn man nur augenzwinkernd an sie “glaubt”.
Zu diesen Suggestivmitteln zählen z. B. Pyramiden, Meditationsbilder, Bachblüten-Essenzen, homöopathische Zubereitungen, Himalaya-Salz, tachyonisch aufgeladene Amulette, Akupunkturnadeln und viele andere geheimnisvolle Geräte, Talismane, Fetische und Elixiere.
Ein nüchterner, aufgeklärter Mensch mag die magischen Mittel als “Hokuspokus” bezeichnen. Diese abfällige Bemerkung kann aber die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, dass dieser “Hokuspokus” mitunter tatsächlich wirkt.
Medikamentenstudien zeigen immer wieder, dass auch “Zuckerpillen” ohne medizinischen Wirkstoff zu statistisch signifikanten positiven Effekten führen. Ein Placebo-Effekt ist eine Wirkung, die nicht auf den materiellen Eigenschaften des Placebos beruht – aber der Placebo-Effekt ist dennoch Realität.
Die Wissenschaft kann allerdings noch nicht naturwissenschaftlich erklären, warum ein Placebo wirkt. Entsprechende Erklärungsversuche sind nicht bewiesen, es handelt sich höchstens um plausible Hypothesen (O’Mathuna 2003).
Dasselbe gilt aber auch für esoterische, religiöse oder parapsychologische Erklärungsversuche der Wirkung magischer Mittel.
Mit dem Begriff des Placebos zerreißt die Wissenschaft den mystischen Schleier. Dieser wissenschaftlich klingende Begriff sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass er (noch) nichts zu erklären vermag.
Im Übrigen klingt der Begriff “Placebo-Effekt” sehr negativ. Er suggeriert, dass hier eine eingebildete Krankheit mit einem Scheinmedikament behandelt werde.
Doch dieses Scheinmedikament ist an den entsprechenden psychosomatischen Prozessen defintionsgemäß gar nicht beteiligt. Es ist also nicht die Pille, die Substanz, den den Effekt hervorruft.
Daniel Moerman von der Michigan University hat deshalb vorgeschlagen, den Begriff des “Placebo-Effekts” durch “Meaning Response” (Reaktion auf Bedeutung) zu ersetzen (Lenzen 2003).
Auch für einen rational und wissenschaftlich orientierten Therapeuten gibt also keinen vernünftigen Grund, diese magischen Mittel abzulehnen, falls der Klient sie ernst nimmt.
Und sofern es dem Erfolg der Therapie, des Trainings oder der Beratung dient, sollte er etwaige esoterische, religiöse oder parapsychologische Überzeugungen des Patienten positiv bewerten und nicht etwa kritisieren oder gar verunglimpfen. Denn diese Überzeugungen sind bedeutende Quellen psychischer Energie.
Allerdings darf der Glaube an die magische Kraft des Mittels nicht dazu führen, dass auf eigene Aktivität zur Erreichung des Ziels verzichtet oder diese vermindert wird.
Förderlich ist vielmehr der Glaube daran, dass die magischen Mittel die eigenen Kräfte steigern und das für den Erfolg mitunter erforderliche Glück bringen (Glücksbringer).
Was über die magischen Mittel gesagt wurde, gilt gleichermaßen für die magischen Verfahren (Rituale).
Zu diesen zählen Séancen, Feuerlaufen, Schwitzhütten-Sitzungen, Hexentänze, Sufi-Übungen u. ä. Die genannten und alle anderen Rituale wirken, wenn sie wirken, vor allem durch die Kraft des Glaubens und der Suggestion. Sie sind also, wissenschaftlich formuliert, Placebos.
Also alles nur Einbildung? Sicher. Vielleicht nicht nur, aber auch. Na und? Die Einbildung (wissenschaftlich “Imagination”) ist eine mächtige Heilkraft, gerade im psychischen Bereich. Innere Bilder werden zu Visionen, Visionen zu Zielen, Ziele motivieren Handlungen, Handlungen führen zu Erfolgen, Erfolge rufen zu innere Bilder hervor etc.
Prof. Ted J. Kaptchuk (2002) von der Harvard Medical School ist überzeugt, dass alternative, unkonventionelle Behandlungsmethoden häufig mit therapeutischen Mustern verbunden seien, die den Placeboeffekt erheblich verstärken. Zu den Faktoren, die für den verstärkten Placeboeffekt verantwortlich sind, zählt z. B. die Beziehung zwischen Arzt und Heiler.
“In der unkonventionellen Therapie”, schreibt Kaptchuk, “werden die Erfahrungen des Patienten niemals entwertet oder als unzuverlässig beiseite gewischt. Die Heiler vermitteln dem Patienten eine Theorie, die ihre Behandlung verständlich macht. Mit einer klaren Diagnose und paradoxerweise breiten, nicht präzise festgelegten therapeutischen Zielen schaffen sie einen ‘Manövrier-Raum’ für positiven Fortschritt… Es ist wahrscheinlich, dass etwas Gutes geschieht und der Behandlung zugeschrieben wird.”
Magische Mittel und Rituale korrespondieren mit Kraftquellen in der Innenwelt. Auch in einer wissenschaftlich fundierten Beratung oder Therapie wäre es töricht, diese psychischen Energien und die entsprechenden Erfahrungen und Glaubenssysteme der Klienten zu missachten.
So spricht die Stimme des Herzens. Allein, wenn sich das Fahrwasser im Bewusstseinsstrom wieder beruhigt, meldet sich die Stimme des Verstandes zu Wort.
Die Stimme des Verstandes
Der Glaube versetzt bekanntlich Berge. Obwohl dies allgemein bekannt ist, benutzen die meisten Gläubigen, wie andere Menschen auch, für Erdbewegungen lieber den Bagger oder andere Gerätschaften, die für diesen Zweck geeignet sind.
Auf diesen Widerspruch aufmerksam gemacht, rechtfertigen sich die Gläubigen in der Regel mit dem Hinweis, der “Berg” sei nur symbolisch gemeint.
Was aber symbolisiert dann der Berg? Auf die Definitionsarbeit, die nun erforderlich wird, lassen sich die allermeisten Gläubigen nicht ein. Verständlich, das wäre ja auch eine große Aufgabe.
Es scheint mir ohnehin klüger zu sein, die Macht des Glaubens an kleineren Gegenständen zu veranschaulichen. Hier denke ich beispielsweise an diese bunten Kügelchen, mitunter auch Globuli oder auch Zückerli genannt – die Wissenschaft spricht von Placebos. Dies sind Medikamente ohne pharmakologisch wirksame Inhaltsstoffe.
Jeder weiß aus Erfahrung oder glaubt zu wissen, dass diese Pillen tatsächlich wirken. Untersucht man dieses Phänomen wissenschaftlich, so zeigt sich:
- Placebos sind am wirksamsten, wenn Arzt und Patient daran glauben.
- Placebos wirken nur bei Befindlichkeitsstörungen wie Schmerzen, Ängsten, Depressionen; gegen Organerkrankungen können sie nichts ausrichten.
- Die Placebowirkung wird häufig mit der Spontanheilung verwechselt. Nicht der Glaube wirkte, sondern die ohnehin ablaufenden Selbstheilungskräfte des Menschen (die Zeit heilt alle Wunden).
Aus dieser Verkleinerung der Symbolik können wir also ableiten, dass der Glaube zwar keine Berge, wohl aber den Menschen mitunter in die Lage versetzt, Befindlichkeitsstörungen zu meistern.
Wäre der Glaube zu mehr nicht gut, so wäre er schon gut genug. Doch der Glaube verträgt sogar noch eine weitere symbolische Schrumpfung. Man kann ihn auf den puren Klang kondensieren. Weder Berge, noch Pillen sind erforderlich, um die Wunder des Glaubens zu wirken. Es genügt das Wort. Dies führt uns in das Reich der Psychologie.
Rund fünfzig Jahre wissenschaftliche Psychotherapieforschung haben gezeigt, dass die psychotherapeutischen Methoden keinen nennenswerten Einfluss auf das Therapie-Ergebnis haben. Jede Therapie ist gleich gut. Es genügt, wenn Psychotherapeut und Klient an die Heilwirkung der Methode glauben, am besten, auf sie schwören. Dann ist es egal, ob Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, wissenschaftliche Hokuspokustherapie – jeder kann und darf nach seiner Fasson selig werden. In meinem Artikel “Ist Psychotherapie die bessere Form der Psychiatrie?” habe ich mich mit diesen Sachverhalten ausführlich auseinandergesetzt.
Was für die Psychotherapie gilt, trifft gleichermaßen auf jede andere Anwendung psychologischen “Wissens” zu. Ob Coaching, Beratung oder Training, ob Traumdeutung oder Persönlichkeitsanalyse. Was auch immer: Wichtig ist der Glaube.
Diese, den meisten Psycho-Gewerbetreibenden unangenehme Erkenntnis ist nicht der gallige Bittersaft eines professionellen Außenseiters, sondern die Quintessensz der psychologischen Forschung, jener Forschung, auf die sich die Psycho-Fuzzies so gern berufen, wenn sie etwas herausfindet, was ihnen in den Kram bzw. ins Marketing-Konzept passt.
Die Show läuft immer gleich ab. Ein Kunde möchte etwas machen, was er sich nicht zutraut. Er glaubt nicht daran, dass er es aus eigener Kraft schaffen kann. Er geht also zum Psycho-Handwerker und lässt sich behandeln. Der Psycho-Dienstleister packt sein Methoden-Instrumentarium aus und beginnt zu werkeln.
Den Kunden motiviert dies im günstigen Falle so sehr, dass er seine Vorurteile hinsichtlich des eigenen Vermögens vergisst und das Angestrebte verwirklicht.
Schlussendlich glauben beide, Psycho-Fuzzie und Kunde, dass dies die Folge der professionellen Qualifikation, der persönlichen Qualitäten des Therapeuten und vor allem seiner überragenden Methode sei.
Kein Wort davon ist wahr. Es handelt sich eindeutig um eine falsche… sagen wir’s psychologisch: Kausalattribution.
Diese kann weitreichende Konsequenzen haben. Abgesehen davon, dass sie sich wunderbar zur Legitimation des Honorars eignet, verfestigt sie natürlich auch die Vorurteile des Kunden hinsichtlich des eigenen Vermögens, sich aus eigener Kraft zu verändern.
Dadurch entsteht eine Abhängigkeit von den Psycho-Gewerblern oder sie wird verstärkt. Dies ist eigentlich ein höchst unerwünschtes Phänomen, sofern man eine freiheitliche Gesellschaft mit autonomen Individuen für erstrebenswert hält.
Und was für die Psychotherapie gilt, trifft gleichermaßen auf die Placebobehandlung von Krankheiten mit körperlichen Symptomen zu (den letztere ist im Kern auch nichts anderes als Psychotherapie).
Der Placeboeffekt beruht also auf Suggestion, die natürlich auch eine Auto-Suggestion sein kann, insofern der Patient sein eigener Arzt ist.
Dabei sind zwei Grundformen der Suggestion zu unterscheiden, nämlich die Effektsuggestion und den Suggestiveffekt.
Effektsuggestion = Dem Patienten wird ein kausaler Zusammenhang zwischen einer Behandlungsmethode oder einem Medikament und nachherigen positiven oder negativen (Erstverschlimmerung) Gesundheitszuständen suggeriert, obwohl ein solcher Zusammenhang de facto nicht besteht.
Suggestiveffekt = Der Patient reagiert mit einem gesundheitlichen Effekt, der durch eine Suggestion ausgelöst wurde.
Unterschied Effektsuggestion vs. Suggestiveffekt = Bei der Effektsuggestion wäre der Effekt in jedem Fall eingetreten, mit oder ohne Behandlung. Beim Suggestiveffekt tritt der Effekt infolge der Behandlung auf, allerdings nicht aufgrund des angeblichen Wirkmechanismus (z. B. Gleiches heilt Gleiches in der Homöopathie), sondern aufgrund einer Suggestion, die durchaus die Form einer verdeckten Hypnose annehmen kann.
Erfolgreich = Viele Patienten sind zufrieden, kommen wieder und empfehlen den Behandler (z. B. Homöopathen) – und zwar wegen der erlebten Effektsuggestionen und Suggestiveffekte.
Damit muss keine objektivierbare medizinische Leistung in Form realer und kausal bedingter Verbesserungen des Gesundheitszustandes verbunden sein.
Die “Geheilten” empfehlen den Heiler und seine Methoden weiter. Es entstehen Kult-Gemeinden, die sich wechselseitig in ihren falschen Ursachenzuschreibungen verstärkten. Und dann brummt die Praxis.
Politische Bedeutung
Es dürfte außer Frage stehen, dass der Placebo-Effekt auf der Einbildungskraft des Patienten beruht und dass er sich vor allem auf Befindlichkeitsstörungen (Schmerzen, Unwohlsein) auswirkt. “Echte” Heilungen von organischen Krankheiten, die dem Placeboeffekt zugeschrieben werden, stellen sich bei näherer Betrachtungen als Selbstheilungen heraus.
Unabhängig davon kann man natürlich mit einem gewissen moralischen Recht Placebo-Therapien gutheißen, wenn sie die Situation des Patienten subjektiv verbessern.
Dass sich es dabei aber um nebenwirkungsfreie und unschädliche “Heilungen” handeln würde, ist ein Mythos.
Der Grund dafür leuchtet unmittelbar ein, wenn man beispielsweise folgende Formen der Behandlung miteinander vergleicht, die u. U. vordergründig zu demselben Effekt führen.
Fall 1: Ein Patient hat chronische Schmerzen. Nach einer Odyssee durch das Medizinsystem strandet er schließlich in der Praxis eines “Naturheilers”, der sich Zeit für ihn nimmt und ihm schließlich ein Placebo verschreibt, das seine Schmerzen lindert.
Fall 2: Ein Patient hat chronische Schmerzen. Nach einer Odyssee durch das Medizinsystem entdeckt er in einer Buchhandlung ein Buch über Selbsthypnose. Er folgt den Anweisungen dieses Ratgebers und entwickelt schließlich die Fähigkeit, sich selbst in Trance zu versetzen. Es gelingt ihm, mit diesem Verfahren seine Schmerzen zu lindern.
Im ersten Fall wird der Patient in aller Regel die Linderung seines Leidens fälschlicherweise dem Heiler und seiner Pille zuschreiben. Im zweiten Fall jedoch ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass er zutreffenderweise erkennt, worauf die Wirkung tatsächlich beruhte, nämlich seiner Fähigkeit zur Kontrolle von Befindlichkeitsstörungen. Vielleicht wird er den Autor des Selbsthilfebuches preisen, aber er wird ihm nicht die Rolle des Arztes im Heilungsprozess zuschreiben.
Fall 3: Ein Patient leidet an einer chronischen Erkrankung, deren Verlauf natürlichen Schwankungen unterliegt. Er begibt sich in einer Phase zum Arzt, in der seine Beschwerden ein relatives Maximum erreicht haben. Er erhält vom Behandler ein Placebo und wenig später verzeichnet er eine Besserung seines Leidens.
Fall 4: Ein Patient leidet an einer chronischen Erkrankung, deren Verlauf natürlichen Schwankungen unterliegt. Er begibt sich in einer Phase zum Arzt, in der seine Beschwerden ein relatives Maximum erreicht haben. Der Arzt klärt ihn darüber auf, dass er bereits alle möglichen Behandlungsmöglichkeiten erhalte, dass er sich momentan in einer besonders schwierigen Abschnitt seiner Erkrankung befinde, dass sich sein Zustand jedoch voraussichtlich schon bald wieder bessern werde. Der Patient lehnt ein “experimentelles Mittel”, dass ihm der Arzt anbietet, ab, weil er es als “Placebo” durchschaut.
Wir leben in einer Zeit, in der die medizinische Behandlung zum Paradigma allgemeiner Problembewältigung geworden ist. So werden psychische Störungen, für die man einst Dämonen verantwortlich machte, als psychiatrische Krankheiten aufgefasst und entsprechend behandelt. Auch wirtschaftliche Probleme werden pathologisch gedeutet und der Arzt wird ans Krankenbett des Kapitalismus geschickt. Die Kultur oder gar die Gesellschaft insgesamt werden für krank erklärt; man schlägt Heilmittel und Kuren vor.
All diesen mehr oder weniger metaphorischen Krankenbehandlungen ist gemeinsam, dass ein Experte Hokuspokus veranstaltet, dass – im günstigen Fall – die Veränderungen von den Patienten aus eigener Kraft vollzogen werden und dass hinterher dann der Arzt für sein segensreiches Wirken gelobt wird, obwohl sein Beitrag eigentlich nur darin bestand, den Geheilten seine Unentbehrlichkeit vorzugaukeln.
1783 definierte der Philosoph Immanuel Kant den Begriff der Aufklärung kurz und bündig wie folgt:
“Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.”
Dank der modernen neurophysiologischen Forschung (Damasio, 1994) wissen wir heute allerdings, dass Verstand und Gefühl sehr eng zusammengehören und im menschlichen Nervensystem unentwirrbare, komplexe Funktionszusammenhänge bilden. Verstand und Gefühl sind also keine Gegensätze und auch nicht scharf voneinander zu trennen. Daher wäre Kants Definition zu ergänzen:
“Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes und seines Gefühls ohne Leitung eines anderen zu bedienen.”
Ja, richtig: Wir müssen auch den Mut haben, uns unserer Gefühle zu bedienen. Genau dies ist es nämlich, was unter “emotionaler Intelligenz” zu verstehen ist. Wir sind durchaus in der Lage, unsere Gefühle zu beherrschen, nicht, indem wir sie unterdrücken, sondern indem wir sie meistern.
Wir sehen sofort, wie Gefühle und Placebowirkungen zusammenhängen, wenn wir beispielsweise die enge Beziehung zwischen Schmerz und Angst ins Augen fassen. Ein wesentlicher Aspekt der Placebowirkung ist die Angstlinderung, die auf dem Vertrauen beruht, dass die Pille recht bald ihre schmerzlindernde Wirkung entfalten werde.
Wie bereits angedeutet, sind die beschriebenen Prozesse selbstverschuldeter Unmündigkeit, die sich in Placebotherapien manifestieren, nicht nur auf den medizinischen Bereich beschränkt.
Nicht nur dort wäre der Hokuspokus der Experten mitunter entbehrlich, wenn die “Patienten” den Mut hätten, sich ihres eigenen Verstandes und ihrer eigenen Gefühle zu bedienen.
Man denke hier beispielsweise an die Wirtschaft. Wirtschaftspolitik setzt ja häufig genug auch nur Placeboeffekte (mitunter allerdings, wie in der Medizin auch: ungewollt Noceboeffekte).
In allen Bereichen gilt es jedoch zu bedenken, dass die aufgeklärte Selbsthilfe ihre Grenzen hat. Ebenso wenig, wie man mit dem Mut, sich seines eigenen Verstandes und seiner eigenen Gefühle zu bedienen, eine Krebserkrankung heilen kann, ebenso wenig darf man bedingungslos auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertrauen. Es gilt: So viel Arzt (Staat), wie nötig, so wenig Arzt (Staat), wie möglich.
Glaube, Berge – oder doch nicht
Wer gelegentlich in der Pflasterritzenflora blättert und ab und an auch die Quellen liest, die ich angebe, weiß: Das Beste, was über psychiatrische Behandlungen gesagt werden kann, lautet: Sie sind hin und wieder mit einem Placeboeffekt verbunden. Die “Patienten” bilden sich ein, dass Psychopillen oder Psychotherapien wirksam seien – da der Glaube zwar keine Berge zu versetzen, wohl aber, so könnte man sich zumindest vorstellen, seelische Befindlichkeiten zu beeinflussen vermag, herrscht bei dem einen oder anderen eitel Freude und Sonnenschein, für eine Weile.
Menschen mit strengen Mienen sagten mir unlängst, dass man den seelisch Leidenden, die am Rande des Abgrunds balancierten, nicht die letzte Hoffnung nehmen dürfe, und so sei meine Pflasterritzenflora ein höchst unmoralisches Leseangebot. Denn selbst wenn ich recht hätte (was selbstverständlich nicht der Fall sei), dann untergrübe meine fragwürdige Aufklärung, bei jenen, die sie ernst nähmen, den Placeboeffekt. Und damit sei nun wirklich niemandem gedient.
Bevor ich mich mit diesen schwer wiegenden philosophischen Fragen auseinandersetze, sei mir ein kleiner Hinweis zum so genannten Placeboeffekt erlaubt. Viele meinen ja, dessen Existenz sei eine erwiesene medizinische Tatsache. Allein, auch hier lohnt es sich, einen Blick in die empirische Literatur zu werfen.
In einer mehrfach aktualisierten Meta-Studie werteten Hróbjartsson und Gøtzsche medizinische Untersuchungen aus, die neben einer Placebo-Kontrollgruppe auch eine “No-Treatment-Bedingung” enthielten. Es ließ sich kein eindeutiger Placebo-Effekt sichern. Ausnahme: Schwache Effekte bei Befindlichkeitsstörungen wie dem Schmerz. Klartext: Die Placebowirkung ist größtenteils eine kaschierte Wirkung der Zeit, die bekanntlich, wohl nicht alle, so doch viele Wunden heilt (und dies dürfte insbesondere auf den seelischen Bereich zutreffen) (1, 4).
Strikt und in Übereinstimmung mit der einschlägigen Forschung (abzüglich jener, die von der Pharmaindustrie verfälscht wurde(2)) gesprochen, muss man also feststellen, dass die positiven Effekte in Folge psychiatrischer Behandlungen weitgehend eine Funktion der verstreichenden Zeit sind. Mit anderen Worten: Es geht psychiatrisch behandelten Menschen nicht besser als solchen, die nicht psychiatrisch behandelt wurden; wohl aber geht es ihnen in vielen Fällen schlechter, denn Stigmatisierung und schädliche Wirkungen von Psychopillen sowie Psychotherapien sind ja sehr real.
Natürlich will ich gern einräumen, dass die Zeit, was immer das sein mag, nicht irgendwie physisch oder gar mechanisch zur Linderung oder Heilung des Leidens beiträgt. Der sprichwörtliche Zahn der Zeit ist nicht kraft unermüdlichen Nagens dafür verantwortlich, wenn es Menschen mit psychischen Problemen nach einer Weile wieder besser geht. Selbstverständlich spielt auch hier der Glaube eine entscheidende Rolle, der Glaube beispielsweise daran, dass die Zeit alle Wunden heile, dass nichts so heiß wie gekocht gegessen werde, dass unser Leben eben ein Auf und Ab sei, dass man sich schon wieder berappeln werde usw. Doch die positiven Effekte dieser Erwartungen entfalten sich unabhängig davon, ob jemand sich einer psychiatrischen Behandlung unterzieht oder nicht.
Nun schnell zurück zu den philosophischen Fragen, die durch die Menschen mit den strengen Mienen aufgeworfen wurden. Definitionsgemäß beruht der Placeboeffekt auf einer Erwartung, die durch eine Behandlung hervorgerufen wurde. Wenn sich solche behandlungsspezischen Erwartungen aber gar nicht eindeutig nachweisen lassen (wie die Placebo-No-Treatment-Forschung nahelegt) -: hat sich dann das moralische Problem der Menschen mit den strengen Mienen erledigt? Oder gibt es etwa einen Placeboeffekt zweiter Ordnung, den zu unterminieren moralisch verwerflich wäre?
Als Placeboeffekt zweiter Ordnung definiere ich den Glauben an den Placeboeffekt. Eingangs schrieb ich ja, dass Beste, was man über psychiatrische Behandlungen sagen könne, sei, dass sie mitunter mit einem Placeboeffekt verbunden seien. Dabei kann es sich angesichts des bisher Gesagten nur um einen Placeboeffekt zweiter Ordnung handeln, weil, wie die empirische Forschung lehrt, die positiven Phänomene im Zeitverlauf weitgehend auch ohne psychiatrische Behandlung eingetreten wären, da es den Placeboeffekt erster Ordnung nicht gibt – oder, um fair und weniger apodiktisch zu sein: Es gibt ihn bei Befindlichkeitsstörungen, wie Schmerzen, aber er ist auch dort nicht besonders stark ausgeprägt. Schmerzen unterliegen bekanntlich natürlichen Schwankungen, die mit einem Placeboeffekt verwechselt werden können.
Um es noch einmal klar und unmissverständlich zu sagen: Nach Lage der Dinge ist das, was bisher “wissenschaftlich” als Placebo-Effekt von Psychopillen und Psychotherapeuten gedeutet wurde, in Wirklichkeit ein behandlungsunspezifischer Erwartungseffekt, also ein Effekt, der auch ohne Behandlung eingetreten wäre. Die bisherige “wissenschaftliche” Deutung ist der Placeboeffekt zweiter Ordnung, nämlich der Glaube an den Placeboeffekt psychiatrischer Behandlungen. Die unausgesprochene Hoffnung hinter dieser “Wissenschaft”: Wenn die Therapie an sich, also substanziell schon keinen Effekt hat, dann möge doch bitteschön ihr pures Stattfinden heilsam sein.
Doch aus Langzeitstudien wissen wir inzwischen, dass es beispielsweise manchen “Schizophrenen” mit Neuroleptika langfristig besser geht, aber noch besser geht es langfristig “Schizophrenen” ohne Neuroleptika (3). Unter diesen Bedingungen möchte man annehmen, dass der Glaube an den Placeboeffekt zweiter Ordnung ebenso wenig zu richtigen Entscheidungen bei den so genannten psychischen Krankheiten führt wie der Glaube an reale Heilwirkungen psychiatrischer Maßnahmen.
Derartige Überlegungen sprechen also nicht unbedingt für psychiatrische Behandlungen, aber aus philosophischer Sicht könnte es ja sein, dass wir stattdessen einem Placeboeffekt dritter Ordnung Entfaltungsmöglichkeiten bieten müssen: Credo quia absurdum est. Ich glaube, weil es unvernünftig ist. Dieser Placeboeffekt dritter Ordnung wird im christlichen Raum für durchaus heilsam gehalten; lästige Überprüfungen des Wahrheitsgehalts dieses Heilsversprechens erübrigen sich hier naturgemäß.
Fassen wir noch einmal zusammen:
- Der Placeboeffekt erster Ordnung ist die Wirkung des Glaubens an die Effizienz der Behandlung.
- Der Placeboeffekt zweiter Ordnung ist der Glaube an die Existenz des Placeboeffekts erster Ordnung.
- Der Placeboeffekt dritter Ordnung ist der Glaube an den Placeboeffekt erster Ordnung, weil der Glaube an den Placeboeffekt zweiter Ordnung unvernünftig ist.
Was also von den positiven Effekten psychiatrischer Behandlungen nach gewissenhafter Prüfung im Licht der empirischen Forschung übrig bleibt, ist der Placeboeffekt dritter Ordnung. Dieser Placeboeffekt dritter Ordnung psychiatrischer Behandlungen fällt nicht vom Himmel, sondern seine Quelle ist irdischer Natur. Etwas, was hienieden schon so lange existiert und praktiziert wird, muss einfach irgendwie wirksam sein, ganz gleich wie, gerade weil alles, aber auch alles dagegen spricht. Wie stark muss doch die Kraft psychiatrischer Behandlungen sein, wenn sich eine solche Institution trotz aller Beweise ihrer Ineffizienz so lange halten konnte und unangefochten ihren Kurs in die Zukunft zu steuern vermag!
Und was ist mit den armen leidenden Menschen, von denen eingangs die Rede war? Kommen auch sie, und nicht nur die Psychiatrie und die Pharmawirtschaft, die Politik und die herrschenden Eliten, in den Genuss der Segenswirkungen des Placeboeffekts dritter Ordnung? Wenn man an den Placeboeffekt glauben muss, weil dies unvernünftig ist, dann sicher; natürlich nur solange man nicht nachprüft, ob er auch tatsächlich eintritt; aber mit dem Nachprüfen kann man sich ja Zeit lassen.
Anmerkungen
(1) Cochrane Database Syst Rev. 2003 (1):CD003974. Placebo treatment versus no treatment. Hróbjartsson A, Gøtzsche PC. Source: The Nordic Cochrane Centre, Rigshospitalet, Department 7112, Blegdamsvej 9, Copenhagen Ø, Denmark, DK-2100. a.hrobjartsson@cochrane.dk
Cochrane Database Syst Rev. 2004;(3):CD003974. Placebo interventions for all clinical conditions. Hróbjartsson A, Gøtzsche PC. Source: Nordic Cochrane Centre, Rigshospitalet, Department 7112, Blegdamsvej 9, Copenhagen Ø, Denmark, DK-2100.
Cochrane Database Syst Rev. 2010 Jan 20;(1):CD003974. doi: 10.1002/14651858.CD003974.pub3. Placebo interventions for all clinical conditions. Hróbjartsson A, Gøtzsche PC. Source: The Nordic Cochrane Centre, Rigshospitalet, Blegdamsvej 9, 3343, Copenhagen, Denmark, 2100.
(2) Goldacre, B. (2012). Bad Pharma: How drug companies mislead doctors and harm patients. Fourth Estate: London (UK)
(3) Withaker, R. (2010). Anatomy of an Epidemic. Magic Bullets, Psychiatric Drugs, and the Astonishing Rise of Mental Illness in America, New York: Broadway Paperbacks; Gresch, H. U.: Neuroleptika – Fakten und Fiktionen
(4) Nach Veröffentlichung der Befunde Hróbjartssons und seiner Mitarbeiter hat sich ein netter Streit zwischen dieser Arbeitsgruppe und Bruce E. Wampold zur Frage entfaltet, was man berechtigterweise aus den Daten Hróbjartssons et al. schließen dürfe und was nicht, ob also der Placebo-Effekt real und robust sei oder ein Hirngespinst. Diese Auseinandersetzung zu rezipieren möchte ich Statistik-Experten ans Herz legen. Aus meiner Sicht kann man es drehen und wenden, wie man will: An der Faktizität der Befunde Hróbjartssons ändert sich dadurch nichts. Mag man auch einräumen, dass es einen substanziellen Placebo-Effekt geben könnte, der nicht nur bei Befindlichkeitsstörungen eintreten kann, so sollte angesichts vorhandener Daten doch kein Zweifel daran bestehen, dass dieser Effekt allenfalls sehr, sehr klein ist.
Literatur
Brody, H. & D. (2002). Der Placebo-Effekt. Die Selbstheilungskräfte unseres Körpers. München (dtv)
Damásio, A. R. (1994). Descartes’ Irrtum – Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. München: List
Dilts, R. B. (1991). Identität, Glaubenssysteme und Gesundheit. Paderborn (Junfermann)
Hrobjartsson, A. & Gotzsche, P. C. (2004). Is the placebo powerless? Update of a systematic review with 52 new randomized trials comparing placebo with no treatment. Journal of Internal Medicine 2004; 256: 91–100
Kopta, M. (1999). Individual outcome and process research: Challenges to greater turmoil or a positve transition? In: Annual Review of Psychology
Kaptchuk, T. J. (2002). The placebo effect in alternative medicine: Can the performance of a healing ritual have clinical significance? In: Annals of Internal Medicine, 347, 81-88
Lenzen, M (2003). Medikamente, die gar keine sind. Der Placebo-Effekt spielt sich nicht im luftleeren Raum des Geistes ab, sondern im Stoffwechsel des Gehirns. In: Frankfurter Rundschau, 17.09.2003
Nelson, C. (2003). The placebo in alternative medicine: “real” healing or “nuisance noise”? In: The Back Letter, January
O’Mathuna, D. P. (2003). New findings and old myths about the placebo effect. In: Research Practitioner, January-February
The post Placebo appeared first on Pflasterritzenflora.