Irre. 1970 stahl ein Mann in den Vereinigten Staaten eine Halskette. Das Schmuckstück war rund 20 Dollar wert. Er wurde erwischt. Ein Richter entschied, dass er schuldunfähig sei. Irre. Er kam in eine Anstalt für “psychisch kranke” Kriminelle. Dort sitzt er immer noch. Kurzfristig nahm er an einem ambulanten Programm teil. Dieses Projekt musste jedoch aus Geldmangel eingestellt werden. 2007 beantragte ein Pflichtverteidiger seine Entlassung. Doch der zuständige Richter starb. Erst vor wenigen Wochen wurde der Fall einem lebenden Richter übergehen.
Diese Geschichte habe ich mir nicht ausgedacht, sondern sie beruht auf einem Bericht der Washington Times vom 22. Januar 2014. Zu Beginn seiner Einkerkerung habe sich der Mann hin und wieder mit anderen Patienten gestritten. Es ging um Geld, Nahrungsmittel, Kleidung. Seit Jahren aber sei er ausgesprochen friedlich.
Irre? Man mag dies als Einzelfall betrachten. In der Tat: Mehr als vierzig Jahre! Das ist Rekord. Doch schauen wir genauer hin. In jedem Einzelfall verbirgt sich Grundsätzliches. Der Mann wurde in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen, weil man ihn für psychisch krank und schuldunfähig hielt. Diese Auffassung wurde durch ein psychiatrisches Gutachten gestützt.
In meinem Beitrag “Die psychiatrische Diagnostik” habe ich gezeigt, dass psychiatrische Diagnosen nicht valide sind, auf Deutsch: Sie taugen nichts. Der Mann blieb in der Anstalt, weil man ihn für gefährlich hielt und dann vergessen hatte. In meinem Beitrag “Psychiatrie und Justiz” habe ich gezeigt, dass die psychiatrische Prognostik nicht treffsicherer ist als die Glaskugelschau. Kein Wunder also, dass auch die psychiatrischen Gutachten ihr Papier nicht wert sind. Dies habe ich in meinem Beitrag “Psychiatrische Gutachten” gezeigt.
Irre. Es zeigt sich in einer Fülle vom empirischen Studien, dass schiere Willkür die psychiatrische Diagnostik und Prognostik regiert. Ob jemand wegen einer Straftat in die Psychiatrie muss, hängt von der schieren Meinung seiner Richter ab. Sie stützen sich auf subjektive psychiatrische Gutachten. Wann er dann wieder herauskommt, hängt ebenfalls von der schieren Meinung seiner Richter ab. Sie stützen sich wiederum auf subjektive psychiatrische Gutachten. Wer Pech hat, sitzt vierzig Jahre hinter psychiatrischen Gittern.
Nicht nur in Amerika, auch in Deutschland ereignen sich solche Horrorgeschichten. Der Fokus titelte: Desinteressierte Ärzte sperrten Tic-Kranken 24 Jahre als debilen Gewalttäter weg. Das war 1998. 2013 lautete der Fokus-Titel: 38 Jahre zu Unrecht in der Psychiatrie. Es geht hier in beiden Berichten im denselben “Patienten”.
Einzelfälle? Natürlich, keine Frage. Das sind Einzelfälle. Man kann in ihnen aber Gemeinsamkeiten entdecken. Man muss nur genauer hinschauen. Es ist die schiere Willkür, die diese Fälle verbindet.
Was lernen wir daraus? Psychiater haben vor Gericht nichts zu suchen. Es sei denn als Angeklagte. Und Straftäter haben in der Psychiatrie nichts zu suchen. Gerechtigkeit herrscht, wenn Menschen der schwere ihrer Tat entsprechend bestraft werden. Ungerecht ist es, sie aufgrund von Mutmaßungen auf unbestimmte Zeit einzusperren. Ganz einfach, leicht zu erkennen. Man muss nur genauer hinschauen.
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