Manche meinen, Gustl Mollath wäre längst draußen, wenn er sich “krankheitseinsichtig” gezeigt, an “Therapien” teilgenommen und eine allmähliche Besserung seines Zustandes (im Sinne seiner “Behandler”) vorgetäuscht hätte. Kurz: Wenn er denn nur gelogen hätte, könnte er längst wieder sein Leben in Freiheit genießen.
Um den Wahrheitsgehalt dieser Einschätzung zu beurteilen, muss man sich vor Augen führen, dass die Psychiatrie eine “psychische Krankheit” weder valide zu diagnostizieren vermag, noch dazu in der Lage ist, den Erfolg der “Behandlung” nach objektiven Kriterien festzustellen. Der Erfolg der “Behandlung” hängt vor allem davon ab, ob der “Behandelte” daran glaubt, dass sie sinnvoll und Erfolg versprechend sei.
Noch einmal: Es gibt keine objektiven Tests, keine soliden, empirisch gesicherten Verfahren, mit denen man feststellen könnte, ob jemand “psychisch krank” und gefährlich ist und ob eine “Behandlung” bei ihm anschlägt. Wir bewegen uns hier also ausschließlich im subjektiven Raum, in dem das Verhalten des “Patienten” zwischen authentischem Ausdruck von Befindlichkeiten sowie Täuschung und Schein oszilliert. Dies ist unausweichlich. Auch die Anwendung standardisierter Methoden kann daran nichts ändern.
Es dürfte sich von selbst verstehen, dass die meisten Psychiater, die in diesem Bereich arbeiten, natürlich wissen, dass manche “Patienten” geneigt sein werden, “Krankheitseinsicht” und allmähliche “Heilung” zu simulieren. Es kommt für sie also darauf an, die Spreu vom Weizen zu trennen. Man darf sich das durchaus als einen mentalen Ringkampf zwischen einem zunächst misstrauischen Arzt und einen “Patienten” vorstellen, der, wer kann das einschätzen?, arglos oder arglistig ist.
Der kluge “Patient” weiß natürlich, dass ihm der Arzt zunächst nicht traut und er wird daher gar nicht erst versuchen, ihn unmittelbar von seiner “Compliance” zu überzeugen. Vielmehr wird er den Verlauf einer erfolgreichen Gehirnwäsche imitieren. Zunächst also wird er heftig Widerstand leisten, ermatten, sich zu neuem Widerstand aufschwingen und schließlich so tun, als habe er schlussendlich doch (“Wie jeder hier, verlassen Sie sich darauf!”) seinen Bruchpunkt erreicht. Danach wird er handzahm werden. Hin und wieder wird sein Widerstand noch einmal aufflackern, aber nie so heftig wie zuvor und auch nur kurz. Dann darf man ihn wohl als remittiert einstufen.
So läuft das bei den klugen Patienten. Es heißt, dass die klugen nicht selten zu jenen Patienten gehören, denen man nicht im Dunkeln begegnen möchte. Aber Genaues darüber weiß man nicht, denn diese Prozesse wurden niemals wissenschaftlich erforscht. Die Psychiatrie möchte Derartiges erst gar nicht so genau wissen. Und das kann man ja auch gut verstehen.
Gustl Mollath ist offenbar kein guter “Patient”. Er ist nicht “krankheitseinsichtig”, er lässt sich nicht diagnostizieren, er lässt sich nicht “behandeln”, er zeigt keine Besserung seines Zustandes. Unmöglich kann die Psychiatrie von sich aus seine Entlassung empfehlen. Das wäre nicht gut für die Moral. Andere “Patienten” könnten sich daran ein Beispiel nehmen.
Das geht nicht. Grundsätzlich darf nur entlassen werden, wer sich als gebessert zeigt, wer der Psychiatrie eine gute Arbeit attestiert. Da es keinerlei objektiven Maßstab dafür gibt, kommt es darauf an, dass der Patient das ganze Spektrum der Unterwerfungsgesten zeigt, die eine Remission unter Beweis stellen. Doch Gustl Mollath zeigt ungebrochen Widerstand. Und nicht genug damit: Er zeigt seinen Widerstand in sozialverträglicher Form, erweckt den Eindruck, gar nicht irre zu sein. Er randaliert nicht, er schäumt nicht, keine Spur von Raserei, keine Aussetzer, nichts.
So kommt er vermutlich nie frei, es sei denn, das Bundesverfassungsgericht spricht ein Machtwort. Oder gar der Europäische Gerichtshof. Die Richter müssen sich allerdings klarmachen, was auf dem Spiel steht. Gustl Mollath ist der prominenteste Patient des Maßregelvollzugs aller Zeiten. Wenn so einer ohne die erforderlichen Unterwerfungsgesten freikommt, wenn so einer sich hinterher sogar beklagt und Bücher schreibt, dann hat das natürlich Auswirkungen auf die Moral der Truppe. Nicht auszudenken.
Soll Mollath lügen? Hätte das jetzt überhaupt noch einen Sinn? Könnte dann die Psychiatrie noch halbwegs das Gesicht wahren, wenn sie ihn dann schlussendlich doch noch freiwillig freiließe oder würde das Ganze in diesem Fall vollends in eine Klamaukveranstaltung verwandelt. Schon jetzt herrscht ja Jahrmarktstimmung. Mit jedem “Haut den Mollath!” werden die Rufe “Schwindel!”, “Betrug!”, “Skandal!” ja lauter.
Brechen wir hier ab. Mollath soll natürlich nicht lügen. Er soll ausharren. Irgendwann muss ihn die Bande ja freilassen.
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