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Medikamente statt Unterbringung

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Der Münchener Merkur berichtet: Eine Frau wird wegen Schuldunfähigkeit vom Vorwurf der Brandstiftung freigesprochen. Der Richter verhängt eine Unterbringung auf Bewährung. Er schärft ihr ein, ihre Medikamente regelmäßig zu nehmen. Nur dann ginge es ihr gut. Die Frau, so heißt es, sei an Schizophrenie erkrankt und massive Depressionen hätten sie dazu veranlasst, Feuer zu legen.

Es wird nicht erwähnt, welche Medikamente sie erhält. Wir wissen aus Forschungen, dass Antidepressiva nicht nennenswert effektiver sind als Placebos (1), dies gilt auch für schwere Depressionen (2). Generell kann gesagt werden, dass höchstens 30 Prozent der Menschen, die an irgendeiner der wichtigsten so genannten psychischen Krankheiten leiden (Depressionen, Bipolare Störungen, Schizophrenien) eine dauerhafte Verbesserung ihres Zustandes durch psychiatrische Drogen gleich welcher Art zeigen (3).

Der Münchener Merkur schildert die Schwere ihrer Tat und schließt dann mit den Worten: “Staatsanwältin wie Verteidiger plädierten dennoch auf eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung. Nachdem die vom Gutachter angeregte Medikamentenumstellung nochmals zu einer spürbaren Verbesserung des Gesundheitszustandes geführt und die 52-Jährige nichts mehr angerichtet hatte.”

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass hier im juristischen Sinn (obzwar im faktischen durchaus) nicht von einer “Strafe” gesprochen werden kann, denn eine Unterbringung gilt ja nicht als Strafe (was sie de facto ist), sondern als “Therapie”. Wichtiger noch als dieser Gesichtspunkt ist aber der Aspekt, dass die Freilassung der Frau zwar durchaus angemessen sein könnte, diese aber mit der erfolgreichen Behandlung durch Medikamente zu begründen, halte ich angesichts des Forschungsstandes zu diesem Thema für nicht gerechtfertigt.

Es ist beängstigend, lesen zu müssen, dass ein Richter offenbar nicht in der Lage ist, sich von einem realistischen Bild der Möglichkeiten und Grenzen psychiatrischer Substanzen (die euphemistisch Medikamente genannt werden)  leiten zu lassen. Dieser Richter dürfte kein Einzelfall sein. Dass er es gut meinte, will ich nicht in Zweifel ziehen. Dass seine Entscheidung in diesem Einzelfall vielleicht sogar weise war, auch nicht. Doch darum geht es gar nicht. Was mir Sorgen macht, sind die Worte des Richters, dass es der Frau nur dann gut gehe, wenn sie ihre Medikamente nehme. Erstens ist es keineswegs sicher, dass es ihr gut geht, wenn sie ihre Medikamente nimmt und zweitens gibt es auch keine Garantie dafür, dass es ihr schlecht geht, wenn sie diese nicht schluckt. Der Richter entlässt die Frau mit diesen Worten gleichsam fast vollständig aus der Verantwortung für sich selbst. Die einzige Verantwortung, die sie noch trage, so lautet die implizite Botschaft, bestehe darin, ihre Medikamente regelmäßig einzusetzen.

Der Bericht der Zeitung verrät uns, wie bereits erwähnt, leider nicht, welche Medikamente die Frau nehmen muss. Ich vermute, dass es sich dabei um einen Medikamenten-Cocktail handelt. Falls dies der Fall sein sollte, so wäre der Sachstand noch wesentlich unübersichtlicher, denn die kombinierte Wirkung solcher Zusammenstellungen ist so gut wie noch nicht erforscht (4).

Eine Übersichtsarbeit zeigt, dass der Konsum bestimmter psychiatrische Substanzen durchaus mit einem erhöhten Aggressionspotential einhergeht (5). Auch wenn hier, wissenschaftlich betrachtet, das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, darf man doch, vor allem als Richter, vor der Gefahr, die mit diesen “Medikamenten” verbunden sein kann, nicht den Kopf in den Sand stecken.

Anmerkungen

(1) Kirsch, I (2009). The Emperor’s New Drugs: Exploding the Antidepressant Myth. London: The Bodley Head

(2) Moncrieff J, Wessely S, Hardy R (2012). Active placebos versus antidepressants for depression (Review). The Cochrane Library, Issue 10

(3) Kirk, S. A. et al. (2013). Mad Science: Psychiatric Coercion, Diagnosis, and Drugs. Piscataway, N. J.: Transaction

(4) Gøtzsche, Peter (2013). Deadly Medicines and Organised Crime: How Big Pharma has Corrupted Healthcare. Radcliffe

(5) Moore TJ, Glenmullen J, Furberg CD (2010) Prescription Drugs Associated with Reports of Violence Towards Others. PLoS ONE 5(12): e15337. doi:10.1371/journal.pone.0015337

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