Häusliche Gewalt, so heißt es in einem einschlägigen Artikel in einer Fachzeitschrift, sei eine “verborgene Epidemie”, die psychische Krankheiten hervorbringe. Es gibt allerdings vergleichsweise wenig Studien, die sich dieses Sachverhalts annehmen (1). Dennoch regt sich kaum (offener) Widerspruch gegen diese These, obwohl sie augenscheinlich fragwürdig ist. Denn
- sind Fragebögen zur Erhebung häuslicher Gewalt nicht valide (die mutmaßliche Gewalterfahrung wird fast immer nur aufgrund von Erinnerungen der angeblich Betroffenen festgestellt und nicht durch objektive Daten erhärtet) und
- ist die Validität von Diagnosen “psychischer Krankheiten” zweifelhaft (da es bisher noch nicht gelungen ist, derartige Diagnosen mit objektiven Verfahren abzusichern).
Wir können den vorliegenden Studien also allenfalls entnehmen, dass die Diagnose einer “psychischen Krankheit” mit mutmaßlicher (oder, in selteneren Fällen) auch tatsächlicher häuslicher Gewalterfahrung assoziiert ist.
Dabei ist zu bedenken, dass mutmaßliche oder tatsächliche Gewalterfahrungen mit einer Vielzahl von Phänomenen korrelieren: mit diversen “psychischen Krankheiten”, mit Gewalt und anderer Kriminalität, mit Viktimisierung, mit Drogenkonsum und Alkoholismus, Prostitution, mit einer Fülle chronischer Erkrankungen (2). Allein also kann (häusliche) Gewalt die Diagnose einer “psychischen Krankheit” nicht erklären, denn manche mutmaßlich oder tatsächlich Betroffenen werden eben nicht “psychisch krank”, sondern kriminell, chronisch krank oder – wer hätte das gedacht – normale erwachsene Menschen.
Die Forschung und auch das öffentliche Augenmerk konzentrieren sich in erster Linie auf Frauen als Opfer von Gewalterfahrungen. Zwar sind auch Männer von weiblicher oder männlicher Gewalt betroffen; aber wer will die Sache unnötig verkomplizieren. Dass Frauen weltweit Opfer von männlicher Gewalt sind, kann nicht ernsthaft bestritten werden; also liegt es nahe, hier eine spezifisch weibliche Ursache für “psychische Krankheiten” zu vermuten.
In ihren Buch über “Multiple Persönlichkeiten” benennt die Diplom-Psychologin Michaela Huber vier Voraussetzungen (3) für die Entstehung einer “Multiplen Persönlichkeitsstörung, nämlich
- weibliches Geschlecht
- gut dissoziieren können
- Schwerste Kindheitstraumata
- Niemand hilft
Zitate wie die folgenden sprechen für sich:
“Frauen sind das gequälte Geschlecht. Männer das quälende. Ausnahmen bestätigen die Regel.”
“Multiplizität stellt also… eine extreme Form des Selbsterhaltungstriebs dar. Offenbar besteht das psychische Äquivalent zum ‘Kämpfen oder Flüchten’ für viele missbrauchte Kinder, die zu beidem noch zu klein sind, in einer Dissoziation, die bewirkt, dass die originäre Persönlichkeit zeitweilig ‘nicht da’ und damit gegen Angst und Schmerz abgeschottet ist.”
“Es gehört zu den größten Tabus in unserer Gesellschaft, dass der Großteil der Kindesmisshandlungen von Müttern ausgeübt wird. Auch wenn die sexuelle Gewalt oft eine Männerdomäne ist, so misshandeln Mütter doch auch.”
Fazit: Multiple Persönlichkeiten sind überwiegend Frauen, die von Männern (u. U. mit Assistenz von Frauen) sexuell missbraucht und misshandelt wurden und die sich in mindestens zwei Persönlichkeiten spalten, um die Gewalterfahrung zu verarbeiten. Die klingt überraschend simpel und plausibel, hat nur einen kleinen Nachteil: Nichts davon konnte bisher durch methodisch saubere empirische Forschungen erhärtet werden.
Wissenschaftler des psychiatrischen Instituts der Universität Basel und des Instituts für Psychose-Studien des King’s College in London stellen unmissverständlich fest:
“More than three decades after Johnstone’s first computerised axial tomography of the brain of individuals with schizophrenia, no consistent or reliable anatomical or functional alterations have been univocally associated with any mental disorder and no neurobiological alterations have been ultimately confirmed in psychiatric neuroimaging (4).”
Dies gilt natürlich auch für die so genannte Multiple Persönlichkeitsstörung bzw. Dissoziative Identitätsstörung. Es gibt zwar neuerdings eine Handvoll von Studien mit bildgebenden Verfahren, die Unterschiede im Gehirn zwischen Multiplen und Nicht-Multiplen festgestellt haben wollen; allein, diese Untersuchungen harren erstens noch der Replikation durch unabhängige Forschergruppen und sie ermitteln zweitens Korrelationen zwischen Diagnose und Hirnparametern, die bekanntlich keinen Rückschluss auf Kausalbeziehungen zulassen. Nebenbei bemerkt: Nicht replizierte Studien sind mit erheblich höherer Wahrscheinlichkeit falsch als zutreffend, wie John Joannidis gezeigt hat (5).
Michaela Hubers Buch ist nach wie vor noch sehr einflussreich, es hat viele meist weibliche Psychiater und Psychotherapeuten nachhaltig geprägt. Es mag für derartig ausgerichtete Experten nahezuliegen, bei einer Frau, die mit einschlägigen Beschwerden in die Praxis kommt, zu unterstellen, dass sie gut dissoziieren könne, schwerste Gewalterfahrungen erlitten habe und dass ihr niemand helfe.
Nun scheint sich all dies in ärztlichen oder therapeutischen Gesprächen zu bestätigen. Die Patienten ist oft von einem Buch so absorbiert, dass sie alles um sich herum vergisst. Leute sagen ihr mitunter, sie hätte Dinge getan, an die sie sich nicht erinnern kann. Sie schauspielert manchmal so gut, dass sie selbst daran glaubt. Derartige “Symptome” können viele Ursachen haben, aber sie stehen nun einmal in der “Adolescent Dissociative Experience Scale” und gelten als Anzeichen einer dissoziativen Störung (6).
Nachdem erst einmal der Patienten ein Verdacht auf eine Multiple Persönlichkeitsstörung” eröffnet wurde, quellen erst tropfend, dann flüssiger, schließlich sprudelnd Erinnerungen an sexuellen Missbrauch durch den Vater aus ihr hervor. Die Therapeutin hat dies, einschlägig geschult, auch nicht anders erwartet. Im weiteren Verlauf der Psychotherapie gilt der Missbrauch nunmehr als “narrative Wahrheit”, an die Patienten und Therapeutin fest glauben, aus der “frau” allerdings keine rechtlichen Konsequenzen zu ziehen sich entschlossen hat. So etwas nennt man anderswo “Selbstimmunisierung”.
Gewalt, Frauen, Psychiatrie. Die Psychiatrie wird nicht besser, wenn sie die Gewalt an Frauen thematisiert. Wenn ich Richter wäre, so würde ich dazu tendieren, den Gesetzesrahmen voll und gnadenlos auszuschöpfen, aber ich bestünde auch auf Beweisen, bevor ich mein Urteil fällte. Auch wenn es um die Frauen-Thematik geht, erweisen sich die Psychiatrie und die “Klinische Psychologie” als Parawissenschaften.
Gewalt, Psychiatrie, Frauen: Manche Psychiatriekritiker – meist weibliche – fordern, das “medizinische Modell psychischer Krankheiten” durch ein “Trauma-Modell” zu ersetzen. Sie begreifen nicht, dass dieses “Trauma-Modell” nichts anderes ist als ein “medizinisches Modell” mit feministischer Lackierung (vermutlich violett). Beide Modelle beruhen im Übrigen auf einem hierarchischen Schema der Arzt-Patient-Beziehung: Hier der wissende, aktive, richtungsweisende Arzt, dort der unwissende, passive, sich fügende Patient. Wie auch immer man diese Hierarchie zu kaschieren versucht, sie wird sich im Rahmen unseres Gesundheitssystems dennoch stets herausbilden, u. a. weil dies eine der Voraussetzungen dafür ist, dass die Kassen und auch die Privatversicherungen derartige Veranstaltungen finanzieren.
Anmerkungen
(1) Hegarty, K. (2011). Domestic violence: the hidden epidemic associated with mental illness. The British Journal of Psychiatry (2011) 198: 169-170 doi: 10.1192/bjp.bp.110.083758
(2) Centers for Disease Control and Prevention: Adverse Childhood Experiences (ACE) Study
(3) Huber, M. (1995). Multiple Persönlichkeiten. Überlebende extremer Gewalt. Ein Handbuch. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch, Seite 35 ff.
(4) Borgwardt, S. et al. (2012). Why are psychiatric imaging methods clinically unreliable? Conclusions and practical guidelines for authors, editors and reviewers. Behavioral and Brain Functions, 8:46
(5) Ioannidis JPA (2005) Why Most Published Research Findings Are False. PLoS Med 2(8): e124. doi:10.1371/journal.pmed.0020124
(6) Gharaibeh, N. (2009). Dissociative identity disorder:Time to remove it from DSM-V? Current Psychiatry, Vol. 8, No. 9 / September
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