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PEPP und die Linke

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Sie wollen Geld, Geld und noch mehr Geld für die Behandlung von “Krankheiten”, die mit objektiven Verfahren nicht nachweisbar sind – für eine Behandlung zudem, deren Effektivität bisher noch nicht methodisch sauber belegt werden konnte. Die Psychiatrie ist deswegen natürlich gegen PEPP. Denn dieses neue Entgeltsystem, das 2015 in allen psychiatrischen und psychosomatischen Einrichtungen verbindlich eingeführt werden soll, sieht u. a. eine verweildauerabhängige degressive Vergütung vor.

Die diagnostischen Verfahren der Psychiatrie sind nicht valide; es ließ sich bisher nicht nachweisen, dass sie tatsächlich das diagnostizieren, was sie zu diagnostizieren vorgeben, “psychische Krankheiten” nämlich. Auch konnte bisher noch nicht gezeigt werden, dass Psychotherapien effektiver sind als Placebo-Behandlungen. Die medikamentöse Therapie heilt nicht, sondern sie verdrängt bestenfalls eine mutmaßliche psychische Krankheit durch eine echte neurologische Störung, oder aber sie hat ebenfalls nur Placebo-Wirkung. Die Krankenkassen jedoch müssen all dies dennoch bezahlen – und, machen wir uns da nichts vor, wir alle, die Solidargemeinschaft der Versicherten, werden zur Kasse gebeten.

PEPP könnte sich als ein kleiner Fortschritt in die richtige Richtung auswirken, denn für tagesgleiche Pflegesätze gibt es nur eine für mich nachvollziehbare Rechtfertigung: die finanziellen Interessen der Betreiber solcher Einrichtungen. PEPP könnte dazu führen, dass sinnlose Maßnahmen, die den “Patienten” nicht helfen, nicht wirklich, früher beendet werden. Alle, alle würden davon profitieren, mit Ausnahme der Psychiatrie und der Pharmaindustrie, versteht sich.

Am 19.02.2014 brachte die Partei “Die Linke” einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein. Sein Titel: “Einführung des neuen Entgeltsystems in der Psychiatrie stoppen“. Gleich im ersten Absatz kommt man zur Sache: Es geht vor allem um die degressive Vergütung:

“Künftig soll sich die Höhe der Tagespauschalen an Durchschnittskosten für die Behandlung von Fällen mit vergleichbarem Aufwand bemessen, die in Kalkulationskrankenhäusern ermittelt werden. Liegen die realen Kosten in einem Krankenhaus höher, ist das Entgelt nicht kostendeckend. Diese Klinik muss also die Kosten senken oder kann die entsprechenden Leistungen nicht mehr anbieten.”

Nicht ein Gedanke im gesamten Antrag wird darauf verschwendet, die Möglichkeit auch nur zu erwähnen, dass eine Senkung der Kosten sich eventuell gar nicht auf die Qualität der Leistungen auswirken oder dass diese vielmehr nach dem Motto “Weniger ist mehr!” sogar steigen könnte. Die Maßnahmen psychiatrischer und psychosomatischer Einrichtungen werden unkritisch, unhinterfragt als segensreich angenommen. Offenbar hat sich auch die Linke in diesem Bereich dem Prinzip: “Mehr desselben!” verschrieben (siehe Watzlawicks “Anleitung zum Unglücklichsein“).

“Gegen die Einführung des PEPP hagelt es von vielen Seiten Kritik. In seltener Einigkeit lehnen viele Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Ärzteschaft, Patientenschaft, Pflegeberufen, Gewerkschaften und Klinikleitungen das PEPP ab. Umfragen ergeben z. B. unter rund 90 Prozent der leitenden Ärztinnen und Ärzte eine Ablehnung des geltenden PEPP-Katalogs. Die heftigste Kritik bezieht sich auf die degressive Ausgestaltung der Tagespauschalen.”

Da möchte die Linke natürlich nicht abseits stehen. Ob es sich bei dieser Allianz vielleicht um eine unheilige mit offenkundigen Interessen handelt, wird nicht einmal erwogen. Von einer linken Partei erwarte ich, dass sie die ökonomischen Mechanismen durchschaut. Dies scheint hier allerdings nicht der Fall zu sein. Die von der “Allianz” vorgetragenen Argumente sind allenfalls, oberflächlich betrachtet, plausibel, aber es fehlen vollständig die empirischen Beweise für die Effizienz des psychiatrischen Systems einerseits und für die angeblich schädlichen Auswirkungen der degressiven Vergütung andererseits.

Die Argumente der “Allianz” haben also fraglos die Form einer Marketing-Kampagne. Sie wollen Geld, Geld und noch mehr Geld für die Behandlung von “Krankheiten”, die mit objektiven Verfahren nicht nachweisbar sind – für eine Behandlung zudem, deren Effektivität bisher methodisch sauber noch nicht nachgewiesen werden konnte.

“Die Initiative ‘Weg mit PEPP’ wurde von ver.di, dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte, medico international, attac, dem Paritätischen Gesamtverband sowie der Soltauer Initiative für Sozialpolitik und Ethik ins Leben gerufen. In einem Aufruf an die Fachöffentlichkeit fordert sie zu Recht ‘vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den DRGs (Fallpauschalen in allgemeinen Kliniken) [...] die kommende Bundesregierung auf, das Pauschalierende Entgeltsystem in Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) nicht einzuführen’. Es werde ‘weder der Tatsache gerecht, dass jede psychische Erkrankung höchst individuell verläuft, noch dass die jeweils besonderen Lebensumstände von Patientinnen und Patienten, deren Familien sowie deren Arbeitsbedingungen mit einbezogen werden müssen’”

Hier wird allerdings übersehen, dass man von individuellen Verläufen “psychischer Krankheiten” sinnvollerweise nur sprechen kann, wenn diese “Krankheiten” tatsächlich existieren. Dies konnte bisher, trotz mehr als 150jähriger Suche durch die moderne Psychiatrie, nicht mit objektiven Methoden nachgewiesen werden. Handelt es sich bei den Phänomenen, die von der Psychiatrie als “Symptome psychischer Krankheiten” gedeutet werden, aber gar nicht um Krankheiten, sondern um nicht-pathologische, wenngleich mitunter hoch problematische und riskante, Lebensäußerungen, dann ist auch die Medizin zu ihrer “Behandlung” nicht zuständig und dann könnte man über andere, angemessenere und eventuell kostengünstigere Hilfen nachdenken.

Und so schließt der Antrag von Dr. Gregor Gysi und Fraktion:

“Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
a) einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Umstellung weiterer Krankenhäuser auf das PEPP bis auf weiteres verhindert;
b) eine Expertenkommission einzurichten und dabei mindestens Fachorganisationen aus Medizin und Pflege, Vertreterinnen und Vertreter der großen Patientenorganisationen sowie explizit von Psychiatrie-Erfahrenen und deren Angehörigen, Gewerkschaften, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der gesetzlichen Krankenkassen sowie Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft sowie der Zivilgesellschaft einzubeziehen. Die Expertenkommission soll Vorschläge für ein Honorarsystem für die stationäre psychiatrische und psychosomatische Behandlung entwickeln, das die in Abschnitt I genannte Kritik aufgreift sowie den dort im letzten Abschnitt genannten Kriterien genügt.”

Was wäre von einer Expertenkommission, die überwiegend aus Personen mit eindeutigen finanziellen Interessen besteht, denn anderes zu erwarten als Lösungen, die dem Prinzip “Mehr desselben!” folgen? Wäre es nicht besser, eine Expertenkommission zu berufen, die in der Lage und willens ist, die vorliegende empirische Literatur zur Effizienz der Psychiatrie zu sichten, die von der Pharma-Industrie verfälschten Studien auszusondern, den Rest methodenkritisch zu prüfen und dann wertfrei und ergebnisoffen die notwendigen Schlüsse aus den Resultaten zu ziehen?

Man möge mich nicht falsch verstehen. Ich fordere keineswegs, zu Lasten der Ärmsten der Armen zu sparen. Es geht um Kosteneffizienz, das Gegenteil von Verschwendung. Wenn die teuren medizinischen Maßnahmen für die Ärmsten der Armen gar nicht erforderlich, wenn sie womöglich kontraproduktiv sind, dann muss man sie weglassen. So einfach ist das.

Hintergrund (Auswahl):

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