Ich war zu dick. 20 Kilo. In Worten: ZWANZIG. Im zweiten Stock angelangt, musste ich erst einmal schnaufen, bevor ich die Tür öffnen könnte. Zwanzig Kilo, meine Güte. Und so probierte ich eine Diät, dann zwei, dann drei, dann vier, und immer noch musste ich schnaufen, vor der Tür. Ob South Beach, Glyx, Low Carb oder Metabolic Balance, nichts wollte helfen, zumindest nicht auf Dauer.
Also stellte ich meine Ernährung um: Zunächst überwiegend auf helles Fleisch, Hähnchen morgens, mittags, abends. Dann vegetarisch, schließlich vegan. Auch diese heroischen Maßnahmen wollten nicht fruchten. Und so ging ich in mich, forschte nach kritischen Lebensereignissen, die meinen Hang zum guten und reichlichen Essen ausgelöst haben mochten.
Und als ich in meiner Verzweiflung, am Rande des stressbedingten Schwachsinns, gar erwog, einen Psychotherapeuten aufzusuchen, erschien mit das alte, längst verstorbene Großmütterlein in einer Vision. Es schaute mich lange sehr ernst an, dann hellte sich ihre Miene auf und es sprach also: “Junge, reiß dich am Riemen!”
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es kommt vielleicht, so dachte ich im Stillen, gar nicht auf ausgeklügelte Methoden zum Abspecken, auch gar nicht auf angebliche ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse und erst recht nicht auf psychotherapeutische Beschwörungen an, sondern nur darauf, weniger zu essen, als der Körper verbraucht, denn dann nimmt man zwangsläufig ab. Es nützt aber nichts, diesen Vorsatz nur zu fassen, man muss ihn auch in die Tat umsetzen, und dies auf Dauer. Wenn man dann das Zielgewicht erreicht hat, darf man fortan auch nicht wieder essen, was das Herz begehrt, sondern nicht mehr, als der Körper benötigt, um sein Gewicht zu halten.
Eigentlich klingt dies recht einfach. Man entscheidet sich dazu, maßvoll zu essen. Fertig. Ein kleines Problem ist mit dieser einfachen Lösung jedoch verbunden. Wie leicht wird man schwach. Zum Glück war mir das Großmütterlein erscheinen und hatte mir anempfohlen, mich am Riemen zu reißen. Ich sollte also nicht auf irgendwelche Methoden vertrauen, um dem Schwachwerden vorzubeugen, sondern ich sollte einen Entschluss fassen, zunächst weniger und nur nur noch so viel zu essen, als oder wie der Körper braucht.
Gefragt war nicht nur ein Entschluss vom Silvester-Format, den man am 1. Januar schon wieder umstoßen kann. Vielmehr ging es um eine Entscheidung der dritten Art, zu der uns eine unheimliche Begegnung mit der Waage manchmal zwingt. Ein felsenfester Entschluss musste gefasst werden. Um einen solchen Entschluss zu fassen, braucht man keine Diät und auch nicht die Hilfe eines Psychotherapeuten. Man braucht auch keine Schlankheitspillen, keinen Arzt, auch muss man seine Ernährung nicht umstellen. Man muss ihn einfach nur fassen. Und niemand, niemand kann uns daran hindern.
Der verweichlichte und verwöhnte Mensch in unserer barbarischen Welt weiß vielleicht nicht, was ein felsenfester Entschluss ist. Es ist ein solcher, bei dem ich, ganz gleich was auch immer geschieht, nicht mehr mit mir selbst darüber diskutiere, ob ich ihn einhalten will. Solange ich also nicht mit vorgehaltener Kalaschnikow dazu gezwungen werde, ihm untreu zu werden, halte ich mich bedingungslos an meinen Vorsatz. Das ist ein felsenfester Entschluss.
Beflügelt durch einen felsenfesten Entschluss können wir alles, alles ändern, was in unserer Macht steht. Sind wir arm und fassen wir den Entschluss, reich zu werden, so wird uns dies freilich in aller Regel nicht gelingen, denn reich zu werden, nur weil man es gern möchte, kann aus eigener Kraft angesichts der Widrigkeiten des Daseins nur den wenigsten gelingen. Wenn ich mich hässlich fühle und beschließe, schön zu werden – nun ja, vergiss es. Aber wenn ich zu dick bin, schlank werden will und es gelingt mir nicht, dann war man Entschluss dazu (von der Kalaschnikow einmal abgesehen) nicht felsenfest, dann wollte ich dies nicht wirklich.
Dies gilt nicht nur fürs Abnehmen. Sogar wenn direkter physischer Zwang auf uns ausgeübt wird, können wir uns dennoch weigern, etwas anderes zu tun, als wir uns vorgenommen haben. Wir können uns stattdessen ja auch umbringen lassen. Ich gebe allerdings zu, dass dies eine eher theoretische Möglichkeit ist und räume ein, dass selbst ein felsenfester Entschluss im Allgemeinen aufgegeben werden kann, wenn man dem Revolver ins Auge blickt, ohne dass man sich deswegen als charakterlos empfinden muss.
Aber sofern man nicht in solche extremen Zwangslagen gerät, kann man, wenn man nur will, auch sein Verhalten ändern. Man muss sich felsenfest dazu entschließen. Man darf diesen Entschluss nicht mehr in Frage stellen. Oft bedarf es einer Zeit des Trainings, eine beharrlichen Festhaltens am Entschluss, trotz mancher Rückschläge, bis es schließlich geschafft ist, aber grundsätzlich hält uns nichts auf, wenn wir unser Verhalten ändern wollen, sofern wir uns nicht selbst ein Bein stellen.
Zu viel Alkohol? Kein Problem. Drogen? Kein Problem. Depression? Kein Problem? Schizophrenie? Kein Problem. Wir haben die Wahl. Wir haben die Wahl, wenn wir die Wahl haben. Dass wir die Wahl haben, beweisen all die vielen Leute, die Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, Depression, Schizophrenie, Übergewicht, was auch immer, aus eigener Kraft überwunden haben, dank eines felsenfesten Entschlusses.
Aber wir haben auch Ausreden. Ein Dicker fragte seinen Arzt, ob nicht vielleicht eine Drüsenstörung für sein Übergewicht verantwortlich sei. Der Arzt, ein Hausarzt alten Schlags, meinte jedoch: Die einzigen Drüsen, die bei ihm in dieser Sache eine Rolle spielten, seien die Speicheldrüsen. Leider sind nicht alle Ärzte so weise. Manche suggerieren ihren Patienten sogar, für ihre Schizophrenie, für ihre Depression sei eine Stoffwechselstörung im Gehirn verantwortlich.
Wer einen felsenfesten Entschluss fasst, sich selbst zu verändern, der darf sich mit solchen Ausreden nicht abgeben. Ein felsenfester Entschluss ist wie ein selbstgewählter Zwang, eine von uns beschlossene Beschränkung unserer Freiheit, die nicht mehr in Frage gestellt werden darf, die, sofern der Entschluss tatsächlich felsenfest war, nicht mehr in Frage gestellt werden kann, auch wenn sich Rückschläge einstellen, auch wenn sich Barrieren vor uns auftürmen. Die Rückschläge erfolgen aufgrund von Schwächen in unserer Innenwelt und die Barrieren wurden im Reich der Fantasie von uns selbst aufgetürmt. Wir haben die uneingeschränkte Macht, sie zu verhindern oder zu überwinden.
PS: In manchen Fällen können genetische Faktoren, Erkrankungen oder die krankheitsbedingte, unerlässliche Medikamenteneinnahme ein Übergewicht begünstigen, auf das der Betroffene keinen oder nur teilweisen willentlichen Einfluss hat. Dies mag auch bei anderen der genannten “Störungen” mitunter so sein. Diese Fälle sind hier nicht gemeint. Mein Text bezieht sich auf die Vielzahl der Menschen, die unter den genannten Phänomenen leiden, obwohl sie sich auch dazu entscheiden könnten, sie zu überwinden.
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