Robin Williams ist tot. Er schied offenbar freiwillig aus dem Leben. Seine Entscheidung verdient Respekt. Den lassen einige vermissen. Er hätte Hilfe suchen sollen, rechtzeitig, es gäbe gute Ärzte, gute Therapien, gute Medikamente. Man hätte ihn retten können. Da spielt es keine Rolle, dass er wegen seiner Alkohol- und Drogensucht wiederholt in Behandlung war. Erfolglos.
Was wir über Suizid-Prävention wissen: Das Thema wurde bisher unzulänglich erforscht. Die allermeisten Studien sind methodisch fragwürdig, wenn nicht katastrophal. In einer Übersichtsarbeit der World Health Organization heißt es:
Basierend auf der zur Zeit begrenzten Evidenz, zeigten einige auf besondere Populationen zielende Interventionen einen gewissen Nutzen für vermittelnde Ergebnisse (wie beispielsweise Selbstmordideen, HUG), doch nur wenige der Reviews demonstrierten einen direkten Effekt auf die Sterblichkeitsraten. Der begrenzten Evidenz und der Heterogenität der Interventionen geschuldet, war es nicht möglich zu bestimmen, ob eine einzige Intervention besser sei als irgendeine andere. Lokale Faktoren, wie beispielsweise Populationsmerkmale und der soziale, kulturelle und sozioökonomische Kontext, müssen berücksichtigt werden, wenn versucht wird, die Ergebnisse auf andere Populationen zu übertragen (1).”
In eine andere WHO-Studie bringt den Stand der Forschung auf eine noch knappere Formel:
“Die meisten Interventionen, von denen angenommen wird, dass sie dem Suizid vorbeugen, einschließlich solcher, die weit implementiert wurden, haben keine systematische Evaluation oder müssen noch evaluiert werden (2).”
In einer freien Gesellschaft hat jeder Mensch das Recht, sich selbst das Leben zu nehmen. Ihn daran zu hindern, wäre einzig dann gerechtfertigt, wenn er keinen freien Willen mehr hätte, sondern durch einen pathologischen Automatismus veranlasst würde, seinem Leben ein Ende zu setzen. Die Existenz derartiger Automatismen im Gehirn oder sonstwo wurde bisher meines Wissens noch nicht nachgewiesen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die meisten Leute, die den Freitod wählen, zuvor das Leben als unerträglich empfunden haben. Die Unterstellung, sie litten an einer Krankheit wie beispielsweise einer Depression oder Psychose, die sie derart der Selbstkontrolle beraube, dass sie sich suizidieren müssten, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage, da “psychische Krankheiten” nicht reliabel und valide diagnostiziert werden (es gibt keine objektiven Verfahren, keine Biomarker) und da überdies Suizidwahrscheinlichkeiten auch nicht treffsicher prognostiziert werden können. Selbst also, wenn ein Mensch, der sich selbst tötete, zuvor als “psychisch krank” eingestuft wurde, können wir nicht wissen, ob dies auch tatsächlich zutraf.
Suizide sind ein großes Rätsel, wie so vieles, was menschliches Seelenleben betrifft. Warum bringt sich einer um, während ein anderer in einer ähnlich miserablen Lage weiterlebt? Die Suizidprävention ist kein Ruhmesblatt der Psychiatrie; sie konnte bisher noch nicht durch methodisch saubere, replizierbare Studien nachweisen, dass ihre Maßnahmen tatsächlich die Zahl der Suizide oder auch nur der Suizidversuche senken. Es gibt also keinen vernünftigen Grund, mutmaßlich Suizidale hinter psychiatrische Gitter zu sperren.
Robin Williams ist tot. Es ist lange her, seitdem ich zuletzt einen Film von ihm sah. Als grandios habe ich ihn als Adrian Cronauer in Erinnerung. Und ich möchte ihn so in Erinnerung behalten – und nicht als abhängigkeitskranken depressiven Suizidanten. Ihn mit diesen oder anderen psychiatrischen Begriffen zu belegen, zu malträtieren, ist eine Verunglimpfung seines Andenkens. Lieutenant Steven Hauk könnte so von ihm sprechen und dies vielleicht sogar als lustig empfinden. Doch für alle anderen, für Leute mit Respekt oder gar mit einem Sinn für die Tiefen des Humors, war Robin Williams einer der ganz Großen, im Leben wie im Sterben.
Anmerkungen
(1) Scott, A. & Guo, B. (2012) For which strategies of suicide prevention is there evidence of effectiveness? HEN synthesis report, World Health Organization, July, Seite i
(2) Word Health Organization (2010). Towards evidence-based suicide prevention programmes. 1. Suicide – prevention and control. Seite 9
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