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Das Urteil im Fall Mollath

Wiederaufnahmeverfahren Gustl Mollath, letzter Tag. Das Gericht urteilt:

Mollath habe seine Frau schwer körperlich misshandelt. Dies sei erwiesen. Es sei aber nicht auszuschließen, dass der Täter zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig war. Die Anklagepunkte der Reifenstecherei und Freiheitsberaubung seien nicht beweisbar. Also: Freispruch. Entschädigung.

Die Meinungen über dieses Urteil sind geteilt. Manchen unterstellen, es diene nur den Zweck, das Gesicht der bayerischen Justiz und forensischen Psychiatrie zu wahren und die Aufklärung finanzieller Machenschaften hochgestellter bayerischer Persönlichkeiten zu verhindern. Andere sagen, es beinhalte eine schallende Ohrfeige für die bayerische Justiz und forensische Psychiatrie. Es besage klar, dass Gustl Mollath niemals hätte psychiatrisiert und in den Maßregelvollzug gesteckt werden dürfen.

Es war kein normaler Prozess. Das Gericht hat sich viel mehr Zeit genommen als üblich und die Medien haben viel mehr darüber berichtet als üblich. Der Angeklagte hatte viel mehr Befürworter und Gegner als üblich. Einerseits.

Andererseits war das ein Prozess wie jeder andere auch. Nichts erinnerte an einen Schauprozess. Selbst wenn nicht der Ruf der bayerischen Justiz und forensischen Psychiatrie oder die Interessen der Bank auf dem Spiel gestanden hätten, wäre der Prozess vermutlich im Kern nicht anders verlaufen.

Das grundsätzliche Problem konnte dieser Prozess nicht lösen, weil er sonst die Fundamente des geltenden Rechts hätte in Frage stellen müssen. Das grundsätzliche Problem besteht darin, ob man Menschen eine psychische Krankheit unterstellen und sie deswegen als gefährlich für sich oder andere einstufen, ob man sie deswegen als schuldunfähig hinter psychiatrische Gitter bringen darf.

Der Gesetzgeber hat diese Frage eindeutig mit Ja beantwortet. Und auch darum gibt es keinen Grund, an der vorzüglichen Rechtsstaatlichkeit dieses Verfahrens zu zweifeln. Richterin und Staatsanwalt haben sich durchaus mit Fingerspitzengefühl in dem Rahmen bewegt, der durch das geltende Recht und die Lage des Falles vorgegeben war.

Das grundsätzliche Problem könnte nur durch eine Änderung des geltenden Rechts gemeistert werden. Es gibt kein objektives Verfahren, mit denen man das Vorliegen einer psychischen Krankheit feststellen könnte. Damit entfällt die Voraussetzung dafür, jemanden als “psychisch Krank” und deswegen gefährlich einzustufen. Solche Einstufungen beruhen auf Mutmaßungen, die sich nicht beweisen lassen.

Gäbe es diese Sondergesetze für mutmaßlich psychisch Kranke nicht und hätte Gustl Mollath tatsächlich, wie das Gericht heute feststellte, seine Ehefrau malträtiert, dann hätte er schon beim ersten Prozess die dafür vorgesehene Strafe erhalten, diese verbüßt und die meisten von uns hätten niemals auch nur von seiner Existenz erfahren. Die Ereignisse wären heute wahrscheinlich für ihn und für die von ihm angeblich Geschädigte Schnee von gestern. Vergangenheit.

Dass die Causa “Gustl Mollath” eine solche Dramatik gewinnen konnte, dass sie bei allen Beteiligten zu unnötigen Schäden führte, die sich mit dem Gedanken des Rechts, des Rechtsstaats oder gar der Gerechtigkeit nicht in Einklang bringen lassen, verdanken wir der, nein, ist der Psychiatrie geschuldet. Wäre die Psychiatrie hier nicht ins Spiel gebracht worden, dann hätte man diesen Fall (und viele andere auch) nach menschlichem Maß abwickeln können.

Natürlich gibt es Menschen, die nicht schuldfähig sind, beispielsweise geistig Behinderte. Aber Gustl Mollath ist nicht geistig behindert. Ihm wurde ein Wahn unterstellt oder eine Persönlichkeitsstörung. Aber die Psychiatrie kann sich noch nicht einmal auf einheitliche Definitionen dieser Begriffe einigen, geschweige denn ist sie in der Lage, dass Vorliegen solcher Zustände mit objektiven Methoden intersubjektiv nachprüfbar anhand von beobachtbaren Fakten zu beweisen.

Auch wenn ich nicht weiß und wissen kann, was in Gustl Mollaths Kopf vorgeht, so erlaube ich mir doch die Spekulation, dass er an diesem Urteil, mit dem er nicht einverstanden sein kann, lange leiden wird, womöglich bis ans Ende seines Lebens. Hätte er eine Strafe erhalten wie jeder andere auch, dann könnte er sich, vom Gericht für schuldig gehalten, als unschuldig fühlen. Nun aber soll er, vom Gericht freigesprochen, sich als mutmaßlich unschuldig fühlen, weil er eine Tat, die er bestreitet, womöglich im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben soll.

Wann endlich bekommen wir ein Recht, das eindeutig ist? Ein Recht, dass Tat und Strafe unmissverständlich miteinander verbindet? Ein Recht, dass nicht beweisbare Mutmaßungen über innere Zustände von Personen ausschließt?

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