Quantcast
Channel: Lexikon der Psychiatriekritik »» Hans Ulrich Gresch
Viewing all articles
Browse latest Browse all 323

Ist die Schizophrenie wirklich ein Sammelsurium aus acht Erbkrankheiten?

$
0
0

Am 15. September 2014 veröffentlichte eine Arbeitsgruppe um Arnedo ein Papier mit einer sensationell anmutenden Erkenntnis. Die Schizophrenie zerfalle in acht separate Erbkrankheiten. Berichte über diese Studie finden sich hier und hier in meinem Tagebuch. Nunmehr haben Wissenschaftler um den “Senior Lecturer” des King’s College in London, Gerome Breen im Kommentarbereich der Datenbank PubMed dazu Stellung genommen.

Dort heißt es:

“Wenn diese Behauptungen replizierbar und konsistent wären, dann konstituierte die Arbeit, die in diesem Papier berichtet wird, einen wichtigen Fortschritt unseres Wissens zur Ätiologie der Schizophrenie.”

Diese außergewöhnlichen Behauptungen würden jedoch unglücklicherweise nicht durch die berichteten Daten gerechtfertigt.

“Ihre Behauptungen stützen sich auf komplexe (und wie wir glauben fehlerhafte) Analysen zwischen Mustern von klinischen Datenpunkten und Mustern, die durch Inspektion von Millionen von genetischen Datenpunkten generiert wurden. Anstelle der Komplexitäten, die von Arnedo et al. favorisiert werden, gibt es weitaus einfachere Erklärungen für die Muster, die von ihnen beobachtet wurden. Wir glauben, dass die Autoren wichtige alternative Erklärungen nicht ausgeschlossen haben – falls die korrekt wäre, dann hätten sich die Haupt-Schlussfolgerungen dieses Papiers als ungültig herausgestellt.”

In zwei der untersuchten Stichproben seien erhebliche Anteile von Menschen mit europäischer und afrikanischer Herkunft zu finden, die Mitglieder der dritten Stichprobe stammten aus Südeuropa.

“Die Herkunft ist ein bekannter Verfälscher in genetischen Studien mit einer großen Kapazität, falsche Assoziationen hervorzubringen. Korrekte Inferenzen aus genomischen Daten in Stichproben wie diesen erfordern außergewöhnliche Vorsicht. In der Analyse, die sie präsentieren, wird kaum erwähnt, wie mit diesem bekannten “Bias” umgegangen wurde und es findet sich auch keine Bewertung seines Einflusses auf die Resultate.”

Eine Datenanalyse habe die Bedenken hinsichtlich des verfälschenden Einflusses der Herkunft bestätigt.

“Arnedo et al. behaupten, dass Mengen von SNP, die zusammen bestehen, für klinische Subtypen der Schizophrenie informativ seien. Eine sparsamere Interpretation der Muster, die von Arnedo et al. identifiziert wurden, lautet, dass die SNPs eine Kombination von
(1) SNPs in großen LD-Blöcken und
(2) SNP, deren Allel-Häufigkeiten sich substanziell zwischen europäischen und afrikanischen Stichproben unterscheiden,
repräsentieren.”

Überdies sei nicht auszuschließen, dass ein verfälschender Einfluss des Geschlechts auf die Ergebnisse von Arnedo et al. nicht berücksichtigt wurde.

Auch bei der Selektion der SNPs sei den Autoren ein Fehler unterlaufen:

 “Die Strategie, die von Arnedo et al. genutzt wurde, ist ein Beispiel der Einschätzung und Auswahl von Effekten in einer Datenmenge und der anschließenden Neueinschätzung mit denselben Daten, eine übliche Fallgrube von Vorhersage-Analysen.”

Die angebliche Replikation der Befunde durch zwei weitere Studien erweist sich ebenfalls als fragwürdig:

“Die Replikation der Ergebnisse ist eine allgemein anerkannte Strategie, um Vertrauen in berichtete Befunde zu erzeugen. Arnedo et al. konstatieren, dass sie ihre Befunde mit zwei Stichproben repliziert hätten, doch, bei genauerem Hinschauen, ist nicht klar, was genau repliziert wurde, wie dies genau gemacht wurde, und ob das Ausmaß der Replikation von der Zufallserwartung abwich. Es ist ebenso unklar, ob die Kontrollstichproben der Replikation unabhängig von der Entdeckungsstichprobe waren oder nicht. Solche Nicht-Unabhängigkeit ist eine andere übliche Fallgrube in der Vorhersage- oder Validierungs-Analyse.”

Breen und Kollegen gelangen zu folgender Schlussfolgerung:

“Angesichts der bemerkenswerten Behauptungen von Arnedo et al. ist es wesentlich, alternative Erklärungen auszuschließen. Unglücklicherweise stellen die Autoren nicht die notwendige Evidenz zur Verfügung. So wie sie präsentiert wird, ist ihre Methodik undurchsichtig (sogar für Experten), was bedeutet, dass ihre Ergebnisse nicht unabhängig validiert werden können. Arnedo et al. berücksichtigen keine alternativen Erklärungen für die Phänomene, die sie beobachten, wie beispielsweise eine Verzerrung durch Herkunft und LD, obwohl dies bekannte kritische Aspekte für die statistischen Methoden, die sie anwenden, sind, die extensiv in der statistischen und populationsgenetischen Literatur thematisiert wurden.  Zusätzlich ist ihr Ansatz der Mehrschrittanalyse Gegenstand vielfältiger Probleme, die oben geschildert wurden.

Wir glauben, dass die Resultate von Arnedo et al,. für die Schizophrenie nicht relevant sind. Wir raten zu großer Vorsicht bei der Interpretation dieser Studie.

Verantwortlich für diesen Beitrag zeichnen:

Gerome Breen, PhD (Institute of Psychiatry, King’s College London, London, UK) * Brendan Bulik-Sullivan (Broad Institute, Cambridge, MA, USA) * Mark Daly, PhD (Broad Institute, Cambridge, MA, USA) * Sarah Medland, PhD (QIMR Berghofer, Brisbane, Australia) * Benjamin Neale, PhD (Broad Institute, Cambridge, MA, USA) * Michael O’Donovan, MD PhD (Cardiff University, Cardiff, UK) * Stephan Ripke, PhD (Broad Institute, Cambridge, MA, USA) * Patrick Sullivan, MD (Karolinska Institutet, Stockholm, Sweden) * Peter Visscher, PhD (University of Queensland, Brisbane, Australia) * Naomi Wray, PhD (University of Queensland, Brisbane, Australia)

Am 25. September 2014 schrieb ich:

“Hätte man nicht… erwarten sollen, dass der Direktor (Thomas Insel, HUG) die Forschung zu den acht Klassen der Schizophrenie mit separater genetischer Grundlage enthusiastisch begrüßt? Und sie nicht schweigend übergeht? Immerhin wurde diese Studie in erster Linie aus Mitteln des NIMH finanziert.”

Möglicherweise wird ja der Grund für das bisherige Schweigen Thomas Insels durch die Stellungnahme von Breen und Kollegen beleuchtet. Meine Skepsis gegenüber den “Erkenntnissen” der Arbeitsgruppe um Arnedo hat sich jedenfalls verstärkt. Trotz mehrmaliger Lektüre bin ich aus der Studie von Arnedo et al. nicht so recht schlau geworden; aber ich bin schließlich ja auch kein Spezialist für Genetik. Breen und Kollegen betonen allerdings, dass diese Arbeit selbst für Experten undurchsichtig sei.

Es gibt zur Zeit jedenfalls keinen Grund, mein Statement zum Begriff der “psychischen Krankheiten” und zur biologischen Psychiatrie zu revidieren. Warten wir also ab, ob Replikationen der Studie Arnedos und seiner Mitarbeiter durch unabhängige Teams gelingen, sofern derartige Versuche, angesichts der Undurchsichtigkeit des Artikels, überhaupt möglich sein sollten. Es ist erfreulich, dass die Mainstream-Psychiatrie nicht auf den Arnedo-Zug aufgesprungen ist, zumindest bisher. Es scheinen also noch nicht alle Sicherungen durchgebrannt zu sein.

The post Ist die Schizophrenie wirklich ein Sammelsurium aus acht Erbkrankheiten? appeared first on Lexikon der Psychiatriekritik.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 323