Unlängst schrieb ich:
“Am 15. September 2014 veröffentlichte eine Arbeitsgruppe um Arnedo ein Papier mit einer sensationell anmutenden Erkenntnis. Die Schizophrenie zerfalle in acht separate Erbkrankheiten. Berichte über diese Studie finden sich hier und hier in meinem Tagebuch. Nunmehr haben Wissenschaftler um den “Senior Lecturer” des King’s College in London, Gerome Breen im Kommentarbereich der Datenbank PubMed dazu Stellung genommen.”
Der Kommentar fiel ausgesprochen harsch aus. Inzwischen haben Mitglieder der Arbeitsgruppe Arnedos auf diese Kritik geantwortet. Die Statements laufen auf Folgendes hinaus:
- Die Skepsis von Breen und Kollegen sei unbegründet; die Einwände ließen sich durch die Daten entkräften.
- Breen und Kollegen hätten den Forschungsansatz von Arnedo et al. nicht verstanden; er sei innovativ.
- Man habe einen neuartigen Ansatz erfolgt, der auf Data Mining und Machine Learning beruhe und der bisher in der psychiatrischen Genetik noch nicht zum Einsatz gekommen sei.
Daraufhin meldete sich Ayman H. Fanous als Vertreter einer weiteren Gruppe von Experten zu Wort. Er schreibt diplomatisch:
“… Ansätze wie die, die von Arnedo et al. angewendet wurden, können in diesem Feld wertvoll sein und sie sind Allgemeingut in anderen Gebieten der biomedizinischen Forschung. Obwohl sie heuristischen Wert besitzen, beginnt man jedoch in der psychiatrischen Genetik gerade erst, sie zu testen und zu debattieren, und ihre Resultate dürfen nicht als definitiv betrachtet werden.”
Es ist also ein handfester Gelehrtenstreit entbrannt, und dies in einem öffentlichen Forum, dem Kommentarbereich von Pubmed. Dies wird auch von Cloninger, dem Senior Researcher der Arbeitsgruppe um Arnedo beklagt. Eine solche Diskussion solle an anderem Ort und “peer-reviewed” stattfinden; auf Deutsch: hinter der Paywall einer Fachzeitschrift.
Wie üblich haben die Medien die Arbeit von Arnedo und Kollegen zwar als sensationelle Entdeckung, als großen Durchbruch gefeiert; das Schweigen der Forscher-Mehrheit und die offene Skepsis einiger Vertreter der Zunft ist aber keinen Bericht mehr wert. Bei den interessierten Laien muss also der Eindruck entstehen, dass die psychiatrische Genetik einen erheblichen Schritt weitergekommen sei.
Dies ist allerdings keineswegs der Fall. Da der Ansatz von Arnedo und Kollegen neu ist, muss seine Angemessenheit zunächst einmal grundsätzlich diskutiert und dann muss von unabhängigen Forschergruppen versucht werden, die Befunde zu replizieren, ggf. auch mit verbesserten Methoden. Cloninger räumt ein, dass man die Ergebnisse mit den traditionellen Ansätzen nicht erzielen könne. Es könnte sich also durchaus um ein Artefakt handeln, dass durch fragwürdige methodische Experimente zustande gekommen ist.
Doch selbst wenn sich empirisch erhärten ließe, dass die Schizophrenie in acht Syndrome zerfällt, die mit Genmustern assoziiert sind, wäre damit noch nicht allzu viel aufgeklärt. Erst wenn sich dann auch noch die Mechanismen zeigen ließen, auf denen der Zusammenhang zwischen diesen Genmustern, den entsprechenden Hirnstrukturen bzw. -prozessen und dem manifesten Verhalten und Erleben beruht, könnte man von einem Durchbruch sprechen.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Es würde mich nicht wundern, wenn er sich als Sackgasse herausstellen würde.
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