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Mind Wars, Kalter Krieg, Bewusstseinskontrolle

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Satanisten?

Immer wieder werden Stimmen laut, dass auch in Deutschland Kinder von Satanisten in schwarzen Messen rituell missbraucht und absichtlich zu multiplen Persönlichkeiten gemacht würden. Solche Thesen werden natürlich vor allem im Internet verbreitet, zumeist in obskuren Websites (4).

Viele zweifeln daran. Der Grund: Es seien noch niemals Satanisten wegen solcher Taten rechtskräftig verurteilt worden. Die Satanismus-Gläubigen kontern, dass die Satanisten sehr mächtig seien und polizeiliche Ermittlungen behindern oder gar verhindern könnten. Wie mächtig müssten Satanisten sein, die so etwas können? Wäre es möglich, dass wieder einmal nichts ist, was es zu sein scheint?

Drei Tatsachen

  • Die CIA und andere Behörden untersuchten während des Kalten Kriegs in langjährigen und kostspieligen Forschungsprojekten die Möglichkeit, Menschen durch Gehirnwäsche in willenlose mentale Sklaven zu verwandeln, die wie Automaten jeden Befehl ausführen, und koste es auch das eigene Leben.
  • Die Nato gründete und kommandierte unter Führung der CIA während des Kalten Kriegs in allen demokratischen Staaten Europas geheime Partisanenorganisationen (z. B. die italienischen Gladio-Einheiten), die aktiv werden sollten, wenn das nicht-kommunistische Europa von der Sowjetunion besetzt würde.
  • Während des Kalten Kriegs sollte die Bundesrepublik Deutschland im Falle eines Angriffs der Sowjetunion mit der so genannten “Atomic Demolition Munition” (kleine nukleare Sprengsätze) verteidigt werden, deren Effizienz durch Selbstmordbomber erheblich gesteigert worden wäre – durch Vergrößerung der Schadwirkung auf den Feind bei gleichzeitiger Verminderung der Kollateralschäden.

Diese drei Tatsachen sind verbürgt. Authentische Akten beweisen, dass es sich hier nicht um haltlose Verschwörungstheorien handelt. Es liegt nahe, eine mehr als nur oberflächliche Verbindung zwischen diesen drei Tatsachen zu vermuten. Doch das ist Spekulation. Bisher sind noch keine Akten aufgetaucht, die einen Zusammenhang zwischen dem Gehirnwäsche-Projekten der CIA (MKULTRA, Bluebird, Artichoke u. ä.), der Stay Behind Organization und der taktischen NATO-Nuklearstrategie belegen. Aber eine Reihe von Menschen behaupten, Opfer derartiger Gehirnwäsche-Methoden geworden zu sein, versichern (für mich) glaubwürdig, sie seien für Himmelfahrtskommandos dieser Art abgerichtet worden (5).

Hintergrund zu den drei Tatsachen

Eine Zusammenstellung von Informationen zu den Gehirnwäsche-Experimenten der CIA und anderer Behörden der Vereinigten Staaten findet sich in der Website “Want to know“.

Wissenschaftliche Untersuchungen zu den einst geheimen Partisanenorganisationen der NATO werden auf einer Web Site der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich präsentiert.

Über die einst ultrageheime NATO-Strategie zur Verteidigung Deutschlands mit Mini-Nukes informiert beispielsweise das Buch von Detlef Bald: Politik der Verantwortung (Berlin: Aufbau, 2008).

Satanisch ritueller Missbrauch?

Meine Hypothese: Den sog. satanisch rituellen Missbrauch gibt es nicht – es gibt ihn doch.

Es gibt ihn nicht, weil die sog. satanischen Rituale nur vorgetäuscht sind. Es gibt ihn doch, weil der Missbrauch real ist. Es handelt sich dabei im eine ausgeklügelte Form der Gehirnwäsche. Mit ihr werden mentale Sklaven produziert – mit Aufgaben im militärischen und/oder geheimdienstlichen Bereich.

Diese militärischen und/oder geheimdienstlichen Projekte werden, so lautet meine Hypothese, durch den Pseudo-Satanismus perfekt getarnt. Es handelt sich hier um eine falsche Fährte. Vorteile: Sie führt ins Nichts. Und sie diskreditiert jeden, der sie ernst nimmt, als Spinner oder Verschwörungstheoretiker.

Die Suche nach satanistischen Sekten, die Menschen zum Zwecke der Gehirnwäsche unter Drogen setzen, mit Elektroschocks traktieren, hypnotisieren und foltern, bleibt erfolglos. Kein Wunder.

Aber war da nicht noch was? Gibt es nicht Organisationen, die nachweislich Menschen zum Zwecke der Gehirnwäsche unter Drogen setzen, mit Elektroschocks traktieren, hypnotisieren und foltern?

Es mag zwar sein, dass einige der Täter tatsächlich Okkultisten sind. Es mag auch sein, dass sich okkulte Zirkel oder destruktive Kulte an diesen Taten beteiligen. Fakt und nachgewiesen aber ist, dass sich hochrangige Psychiater an den Gehirnwäsche-Projekten der CIA beteiligten. Und dass diese Psychiater Okkultisten waren, ist weder bekannt, noch wahrscheinlich.

Die absichtliche Spaltung der Persönlichkeit u. a. durch Drogen, Hypnose, sensorische Deprivation, Elektroschocks und Folter aber ist keine sakrale Handlung, auch nicht in den abseitigsten Kulten, sondern sie verfolgt erkennbar militärische, geheimdienstliche, ökonomische und nicht zuletzt auch wissenschaftliche Ziele. Im Kern handelt es sich bei diesem Verfahren im Übrigen um die “Elektrotherapie mit starken elektrischen Strömen”, also um eine psychiatrische Foltermethode, bekannt beispielsweise unter den Namen “Kaufmanns Kur” und “Pansen”, die während der beiden Weltkriege zur “Behandlung” von “Kriegsneurotikern” durchaus gebräuchlich war (6).

Muße zum Nachdenken über neue Aufgaben

Nach meiner Hypothese stand das Ziel, Spezialeinheiten für nukleare Himmelfahrtskommandos während eines erwarteten Dritten Weltkriegs aufzubauen, zwar am Anfang dieses Gehirnwäsche-Projekts, doch dabei blieb es nicht (7).

Als die sowjetische Invasion auf sich warten ließ, hatten die Täter Zeit und Muße, über andere Aktions- und somit Legitimationsmöglichkeiten nachzudenken. So wurden – so lautet meine Hypothese – die gehirngewaschenen mentalen Sklaven auch als Terroristen eingesetzt, die durch Entführungen und Attentate die Völker des “freien Europas” in Angst und Schrecken versetzten. Damit wollte man den Ruf nach dem starken Mann provozieren und die Bereitschaft fördern, Einschränkungen der demokratischen und der bürgerlichen Freiheiten zu akzeptieren.

Nahrung findet diese Hypothese in allerlei Spekulationen, wie zum Beispiel jener des US-Generals W. C. Westmoreland, die er 1970 in einem einst ultrageheimen Field-Manual 30/31, Supplement B niederschrieb. Dort beklagt er, dass kommunistische Unterwanderer ihre Regierungen durch Gewaltverzicht mitunter in falscher Sicherheit wiegen.

Er schreibt:

“In solchen Fällen sollten dem US-Militärgeheimdienst alle Mittel zur Verfügung stehen, gezielte Operationen zu starten, die sowohl die Regierungen der Gastländer, als auch die Öffentlichkeit von der Gefahr einer Rebellion und der Notwendigkeit eines Gegenangriffs überzeugen. Zu diesem Zweck sollte der US-Militärgeheimdienst alles daran setzen, Agenten mit Spezialaufträgen in die aufständische Bewegung einzuschleusen, welche die Aufgabe haben, spezielle Aktionsgruppen innerhalb der radikaleren Elemente der Bewegung zu bilden. Entsteht eine der oben genannten Situationen, sollten diese durch den US-Geheimdienst kontrollierten Gruppen eingesetzt werden, um je nach Lage des Falls entweder gewaltfrei oder auch gewaltsam einzugreifen.”

Die US-Regierung bezeichnet diese Zeilen Westmorelands jedoch als sowjetische Fälschung. Eine Field Manual 30-31 existiere zwar, auch ein Anhang A, Supplement B sei jedoch eine Falschinformation. Einen überzeugenden Beweis für diese These kann die US-Regierung allerdings nicht vorlegen.

Der einschlägig forschende Historiker Daniele Ganser hält Field Manual 30-23 B nach wie vor für authentisch. Seine Argumentation in einer Fachzeitschrift für Geheimdienste und nationale Sicherheit (The CIA in Western Europe and the Abuse of Human Rights. An Approach to NATO’s Secret Stay-Behind Armies, in: Intelligence and National Security Journal, 2006, H. Volume 21, Number 5, S. 760-781) ist aus meiner Sicht durchaus überzeugend.

Wie auch immer: Eine Vielzahl von Fakten spricht dafür, dass die USA in Europa während des Kalten Kriegs eine “Strategie der Spannung” verfolgten, um die Linke durch inszenierten Terrorismus zu diskreditieren (vgl. z. B. Klaus Kellmann: Der Staat lässt morden. Politik und Terrorismus – heimliche Verbündete. Henschel Verlag Berlin, 1999).

Ins Konzept dieser “Strategie der Spannung” passt auch der “Satanismus” – nahtlos. Schon 1979 (also vor der satanistischen “Hysterie” aus den Vereinigten Staaten) schrieb der Okkultismus-Experte Horst Knaut:

“Es gibt geschützte religiöse Klausen, ‘Klöster’ und ähnliche Okkultverstecke weitverstreut, in denen man ungehindert untertauchen kann, in denen man lehren, planen, drucken und Bomben basteln kann. In denen Menschen verschwinden können, ohne dass Nichteingeweihte davon erfahren… Dort kann Gehirnwäsche angewandt werden. Dort können Menschen für alle Zwecke psychologisch disponiert, ja abgerichtet werden. Experten hat der religiöse, okkultistische Untergrund genügend anzubieten – Experten für kriminelle, gesellschaftsfeindliche, zerstörerische Lehren. Ich kann nur schmunzeln, wenn die ‘Terroristen’ stereotyp immer wieder in Neubauwohnungen mit Garagen in der Nähe vermutetet werden. Das sind nur kleine Außenbasen – ihre häuslichen und geistigen Wohnungen sind woanders. (Horst Knaut: Das Testament des Bösen, Stuttgart, 1979).”

Das klingt doch wie eine Idealbesetzung. Deutsche Okkultisten – mit ihren bestens dokumentierten Verbindungen zum Nazismus und zu Geheimdiensten – verbünden sich im Kalten Krieg mit einer Geheimarmee im Geiste einer “Strategie der Spannung”.

1 und 1 zusammenzählen? Man wird einfach den Verdacht nicht los, dass 2 dabei herauskommt. Doch selbst dann, wenn sich der Verdacht zur Gewissheit zu verdichten scheint, bleibt die Unterstellung, die Gehirnwäsche durch Satanisten (trauma-based mind control) sei eine militärisch-geheimdienstliche Camouflage, natürlich eine Hypothese. Man kann sie unbesorgt ins Reich der Verschwörungstheorien verbannen. Dies wäre zwar nach menschlichem Ermessen nicht vernünftig; er wer sagt uns denn, dass es immer klug sei, vernünftig zu sein?

Der Leser möge ich nicht falsch verstehen; ich möchte seinen Verstand keineswegs in eine bestimmte Richtung drängen. Es würde mich freuen, wenn er ihn frei umherschweifen ließe, dabei aber nicht vergäße, seinen Blick mitunter auf Dinge zu richten, denen er zuvor keine Beachtung schenkte.

Ein Blick untern falschen Kanaldeckel

Im Lauf meines Lebens bin ich oft und mit Herzenslust, zuweilen ein lustiges Lied auf den Lippen, durch deutsche Gaue gewandert und habe mich an der schönen Natur erfreut. War’s anders nicht möglich, wanderte ich auch die Landstraße entlang. Mitunter entdeckte ich, meist in der Nähe von Brücken, merkwürdige Verschlüsse, die bei oberflächlicher Betrachtung wie Kanaldeckel aussahen.

Bei genauerem Hinsehen stellte ich allerdings fest, dass sie keine Öffnungen zum Abfließen von Wasser und eine Schraube in der Mitte hatten. Einmal fragte ich einen Bautrupp, der sich an einer derartigen Öffnung im Pflaster zu schaffen machte, welche Funktion diese Schächte hätten. Einer der Arbeiter antwortete ausweichend. Sie seien Mitarbeiter vom Straßenbauamt, sagte er. Zu weiteren Auskünften war er nicht bereit, er habe zu tun. Damit gab ich mich zufrieden, denn so wichtig schien mir die Angelegenheit nun auch wieder nicht zu sein.

Erst vor einigen Jahren erfuhr ich bei Recherchen im Internet, dass es sich bei diesen seltsamen Kanaldeckeln um die Verschlüsse von Sprengschächten handelte. Im Falle einer sowjetischen Invasion sollten sie mit Sprengstoff gefüllt werden. Es handelte sich also um militärische Sperranlagen. Überall in Deutschland wurden während des Kalten Kriegs Vorrichtungen zur Aufnahme von Sprengstoff für den Ernstfall installiert. Natürlich dachte ich zunächst an konventionellen Sprengstoff.

Dann stieß ich bei weiteren Recherchen auf das Field Manual 5-102 der US-Armee aus dem Jahre 1985. Dieses Field Manual enthält Anweisungen, wie man am besten heranrückende Feinde stoppen kann.

Ein Kapitel beschäftigt sich mit nuklearen Sprengkörpern, der sog. „Atomic Demolition Munition“. Dabei handelt es sich um atomare Sprengsätze mit einer Sprengkraft zwischen 10 Tonnen bis maximal 15 Kilotonnen. Diese nuklearen Sprengsätze sind verhältnismäßig klein; selbst die größten können von zwei bis drei starken Männern getragen werden. Daher werden sie auch als Kofferbomben bezeichnet.

Die „Atomic Demolition Munition“ hat, laut Field Manual 5-102, spezielle Eigenschaften, die sie auf dem Schlachtfeld besonders wünschenswert macht. Da sie eine wesentlich höhere Zerstörungskraft als konventioneller Sprengstoff besitze, seien die Anforderungen an die Logistik und das Personal bei ihrem Einsatz erheblich reduziert. Die „Atomic Demolition Munition“, kurz ADM besäße einen signifikanten Vorteil gegenüber jedem anderen Einsatzsystem, wenn absolute Treffsicherheit erforderlich ist.

Klar: Wenn zwei, drei Soldaten einen atomaren Sprengsatz an einer Autobahnbrücke anbringen, dann kann diese Zielgenauigkeit naturgemäß nicht im entferntesten durch einen Bombenabwurf bzw. Atomkanonen- oder Raketenbeschuss erreicht werden. Bomben, Granaten oder Raketen müssten daher wegen der geringeren Treffsicherheit eine wesentlich höhere Sprengkraft besitzen, um genauso effektiv zu sein wie die ADM.

Bekanntlich wechseln heranrückende Panzerverbände häufig unvorhersehbar ihre Richtung, weil sie dem Gegner natürlich nicht ins offene Messer rennen wollen. Mit mobiler ADM kann man ihm aber folgen und ihn an geeigneter Stelle mit geballter Ladung erwarten. Konventioneller Sprengstoff müsste, um denselben Zweck zu erfüllen, in erheblich größeren Mengen herbeigeschafft werden; er wäre also bei weitem nicht so flexibel. Man könnte die nuklearen Sprengsätze unauffällig mit einem Kleinwagen oder einem Handkarren, wenn nicht sogar auf dem Rücken eines starken Mannes, transportieren.

Die sei, so heißt es im bereits zitierten Manual, dementsprechend eine rundum positive Waffe: Atomarer Niederschlag (Fallout), freigesetzte Strahlung und Kollateralschäden könnten kontrolliert und minimiert werden. Im Grunde, so argumentieren die Autoren des Field Manuals, stelle sich die Frage „konventionell“ oder „atomar“ vielfach im realen Kriegsleben überhaupt nicht – rein technisch und militärisch betrachtet.

Viele Tunnel z. B. könnten mit konventionellem Sprengstoff gar nicht ernsthaft beschädigt, geschweige denn zerstört werden – und zwar wegen der gewaltigen Mengen Sprengstoff, die benötigt würden, um die Explosionswirkung eines so großen Raumes an einem einzigen Punkt zu konzentrieren.

Eine Mini-Nuke sei hier ein wahrer Segen. Ein einziger kleiner atomarer Sprengsatz, in der Mitte des Tunnel platziert, würde diesen dermaßen demolieren, dass der Feind Wochen zu tun hätte, um ihn wieder passierbar zu machen. Ähnliches gelte auch für Autobahnen. Mit konventionellem Sprengstoff könne man bestenfalls ein paar Löcher reißen, die der Angreifer leicht mit Behelfsbrücken überwinden könne. Und selbst dieser geringe Effekt würde sehr viel Personal, Transport-Kapazität und Arbeitszeit binden.

Doch eine ADM, die unterhalb oder auf der Fahrbahn explodierte, würde ein Hindernis hinterlassen, das den Feind zum Bau einer festen Brücke zwingen und ihn selbst dann mehrere Tage beschäftigen würde, wenn er nicht unter Feuer stünde. Und dann erst die Brücken. Keine Plackerei mehr. Ein ADM-Feuer-Team könnte eine Brücke, für deren Sprengung eine konventionelle Einheit mehrere Kompanie-Stunden benötige, in wenigen Minuten in Schutt und Asche legen.

Doch nicht nur Tunnels, Straßen und Autobahnen eignen sich als Ziele für die Kofferbomber. Das Armee-Handbuch nennt als weitere Objekte massive Dämme, Kanäle, Startbahnen, Verschiebebahnhöfe, Häfen, Industrieanlagen, Kraftwerke, Versorgungsdepots und enge Talabschnitte.

Nicht nur zum Stoppen des Vormarsches feindlicher Verbände, sondern auch zum Angriff sind Mini-Nukes eine feine Sache, schwärmen die Autoren des Field Manuals 5-102. Mit ihrer Hilfe kann man die Flanken einer angreifenden Formation schützen. Man kann Hindernisse hinter den feindlichen Linien schaffen, um ihn an der Flucht zu hindern (wozu hat man schließlich Fernspäher?). Man kann die erste von der zweiten Angriffswelle des Feindes trennen, wenn man zwischen beiden ein paar Mini-Nukes hochgehen lässt.

Die Anwendungsmöglichkeiten sind – militärisch betrachtet – letztlich nur durch die mangelnde Phantasie der Anwender begrenzt. Folgt man diesem Handbuch des US-Militärs, dann sind kleine taktische Nuklearwaffen also eine durchaus sinnvolle Option in der modernen Kriegsführung. Das potentielle Schlachtfeld Deutschland war jedenfalls bestens präpariert für diese Art des Waffengangs mit den Sowjets.

Was wird die Zukunft bringen? Eine Schwachstelle sind, wie immer, die Menschen. Zum Glück gibt es auch für den „Human Factor“ ein Handbuch der Armee, das Field Manual 22-51 (29. 09. 1994).

Die Drohung einer nuklearen Eskalation, so heißt es dort, hänge über jeder militärischen Operation, die Atomwaffenbesitzer einschließe. Während des Kalten Krieges hätte sich die Auffassung durchgesetzt, dass ein globaler Atomkrieg unweigerlich zum nuklearen Winter und zum Untergang der Menschheit führe.

Neuere Computer-Simulationen zeigten aber, dass der nukleare Winter nur partiell sei. Ebenso falsch sei die Befürchtung, dass jeder Einsatz von Atomwaffen zwangsläufig zu einer globalen Eskalation und zum nuklearen Winter führe. Weder die Atombomben auf Japan, noch die zahlreichen atmosphärischen Atomtests hätten einen negativen Effekt auf das Weltklima gehabt.

Diese weit verbreiteten falschen Überzeugungen seien natürlich auch nicht spurlos an den US-Soldaten vorüber gegangen. Die meisten US-Soldaten würden daher im Falle einer nuklearen Auseinandersetzung glauben, dass der Weltuntergang bevorstehe. Die elektronischen Kommunikationsstörungen während einer Schlacht und die feindliche Propaganda würden diesen Irrglauben noch verstärken.

Dies führe zur Hoffnungslosigkeit – im Sinne der während des Kalten Kriegs allgemein herrschenden Überzeugung, dass es in einem Atomkrieg keinen Gewinner geben könne. Es sei unbekannt, welche Auswirkungen diese Hoffnungslosigkeit auf unangemessen ausgebildete Soldaten habe. Einige Soldaten seien negativ durch Filme, Bücher und TV-Shows beeinflusst worden, die Mythen und grobe Übertreibungen hinsichtlich der Auswirkungen von Strahlung hervorgerufen hätten.

Daher heißt es im Field Manual 22-51 bündig:

„Wir müssen die Soldaten mental und emotional auf den Schock vorbereiten, der sich einstellt, wenn sie zum ersten Mal eine nukleare Attacke hören und sehen.“

Ein erster, wichtiger Schritt bestünde darin, die Soldaten mit realistischen Informationen über die Risiken unterschiedlich intensiver Strahlung zu versorgen. Informationen über die wahren Gefahren, besonders bei niedrigen Niveaus radioaktiver Strahlung, sollten mit den Schäden verglichen werden, die durchs Rauchen, Röntgen-Untersuchungen und Flügen in großer Höhe verursacht werden können.

Das Manual schildert einer Reihe weiterer Maßnahmen aus dem Arsenal der modernen Psychologie und Verhaltensmodifikation. Ob derartige Methoden die Befürchtungen von Soldaten tatsächlich beschwichtigt können, vermag ich nicht zu beurteilen. Wie sich Soldaten in den heißen Zonen atomarer Schlachten tatsächlich verhalten werden, wird man wahrscheinlich erst dann erfahren, wenn der erste Krieg dieser Art stattfindet.

Vermutlich würden sich in einen solchen Krieg in der Regel an vorderster Front nur jene Soldaten bewähren, die von Kindesbeinen an durch eine spezielle Form der Gehirnwäsche auf eine atomare Schlacht und die eventuell erforderliche Selbstopferung vorbereitet wurden.

In Deutschland werden seit 1990 keine Sperrvorrichtungen für konventionelle Munition und ADM mehr gebaut. Der Feind von einst hat sich aufgelöst. Gegen den Feind von heute könnte man in unserem Land auch dann nicht mit ADM vorgehen, wenn er selbst mit Mini-Nukes ausgerüstet wäre. Der Kampf gegen den Terrorismus ist in dieser Hinsicht asymmetrisch.

Ein Terrorist könnte beispielsweise das Frankfurter Kreuz mit Mini-Nukes in die Luft jagen, aber die Bundeswehr könnte ihm zur Strafe keine ADM unter den Gebetsteppich stecken. Und so liegt es nahe, sich, auch vorbeugend, an Staaten schadlos zu halten, die angeblich oder tatsächlich Terroristen unterstützen.

In einem Papier des amerikanischen Militär-Gremiums „Joint Chiefs of Staff” (Vereinigter Generalstab) aus dem Jahre 2005 heißt es:

„Verantwortliche Sicherheitsplanung erfordert die Vorbereitung auf Bedrohungen, die möglich, aber heute vielleicht unwahrscheinlich sind. Die Lektionen der Militärgeschichte bleiben klar: Unvorhersagbare, irrationale Konflikte treten ein. Die Streitkräfte müssen sich darauf vorbereiten, Waffen und Fähigkeiten entgegen zu treten, die existieren oder existieren werden, auch wenn in naher Zukunft keine unmittelbar wahrscheinlichen Kriegsszenarien gegeben sind. Um die Abschreckung des ABC-Waffeneinsatzes zu maximieren, ist es wesentlich, dass die US-Streitkräfte den effektiven Einsatz nuklearer Waffen vorbereiten und dass sie bereit sind, Nuklearwaffen zu verwenden, falls dies zur Vorbeugung oder Vergeltung des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen notwendig ist.

(“Responsible security planning requires preparation for threats that are possible, though perhaps unlikely today. The lessons of military history remain clear: unpredictable, irrational conflicts occur. Military forces must prepare to counter weapons and capabilities that exist or will exist in the near term even if no immediate likely scenarios for war are at hand. To maximize deterrence of WMD use, it is essential US forces prepare to use nuclear weapons effectively and that US forces are determined to employ nuclear weapons if necessary to prevent or retaliate against WMD use.”)

Am Ende des Kalten Krieges rechnete ich fest damit, dass sich die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges deutlich verringern würde. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Wenn heute einem Staat unterstellt wird, er stelle insgeheim Massenvernichtungswaffen her, dann könnte dies das Präludium für einen Nuklearkrieg sein.

Suizide Mission Blues

Eine Fantasie. Am frühen Morgen des 27. Oktobers 1962 stand ein elfjähriger Junge an einer Landstraße in der Nähe von Fulda. Der Junge stammte nicht aus dieser Gegend. Er hatte mehrere Stunden Fahrt mit einem Auto hinter sich. Er hielt eine Leine in der Hand, mit der er den kleinen Esel, der neben ihm stand, führen konnte. Ein schwerer Sack war mit Ledergurten auf dem Rücken des Tieres geschnallt. Das Kind wusste nicht, was sich in diesem Sack befand. Man hatte ihm gesagt, dass der Inhalt sehr wichtig sei. in den Sack dürfe er nicht hineinschauen. Ein Kabel verband den Sack mit einem roten Knopf am Halsband des Esels. Das Kind wusste, was es zu tun hatte. Sobald er von Männern, die danach sofort wieder fortgefahren wären, ein entsprechende Anweisung erhalten hätte, wäre er mit dem Esel in die ihm gewiesene Richtung marschiert und hätte auf den Knopf gedrückt, wenn weitere, präzise definierte Ereignisse eingetreten wären. Der Junge war folgsam, sehr folgsam, viel folgsamer, als dies von Jungen in seinem Alter als menschenmöglich erachtet werden konnte. Um sein Ziel zu erreichen, hätte er einen Weg durch bewaldetes Gebiet gewählt. Er kannte das Gelände. Er hatte einen Kompass und eine Karte dabei. Er wusste, wie man sich in Wald und Feld orientiert. Er liebte Erdbeeren mit Schlagsahne. Sie waren ihm als Nachtisch zu Abendessen versprochen worden.

1964. Der Spiegel (23. 12., Heft 52) berichtete, dass besorgte Bürgermeister im Verteidigungsministerium angerufen und gefragt hätten, ob man in ihrem Gemeindegebiet noch unbesorgt spazieren gehen könne.

1964. Die Beatles sangen: “I want to hold your hand.” Bernd Spier meinte trotzig: “Das kannst du mir nicht verbieten.”

Leonid Breschnew wurde Generalsekretär der KPdSU.

Die Amerikaner begannen ein militärisches Abenteuer, das als “schmutziger Krieg” in die Geschichte eingehen und mit einer schmählichen Niederlage enden sollte. Am 7. August 1964 ermächtigte der amerikanische Kongress mit der Tonkin-Resolution den US-Präsidenten Lyndon B. Johnson, zur Abwehr von Angriffen auf US- und verbündete Streitkräfte in Südostasien alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Das war der offizielle Start des Vietnamkriegs.

Der Name dieser Resolution bezieht sich auf den sog. Tonkin-Zwischenfall. Nordvietnamesische Schiffe hatten angeblich den US-Zerstörer USS Maddox attackiert. Heute wissen wir, dass dieser Angriff niemals stattfand. Noch nicht einmal der Präsident und sein Verteidigungsminister Robert McNamara glaubten damals daran. Es handelte sich um Kriegspropaganda.

1964. In Deutschland war das Leben friedlich. Südostasien war weit weg. Über die Leinwände der Republik flimmerte “Für eine Handvoll Dollars”. Sergio Leone begründete mit diesem Streifen das Genre des Italo-Westerns. Die Deutschen lehnten sich in die Kino-Sessel zurück und knabberten Popcorn.

Heinrich Lübke wurde zum Bundespräsidenten wiedergewählt. Was haben wir über seine Scherze gelacht! “Meine Damen und Herren, liebe Neger…”. Es war damals nicht ausgeschlossen, dass unser Lachen in einem Atomblitz verhallt wäre. Als Atomic Demolition Munition werden kleine Atombomben bezeichnet, deren Sprengkraft vergleichsweise gering ist. Sie können in Kleinwagen, mit Lasttieren und die kleinsten Versionen sogar von einem kräftigen Soldaten im Rucksack zu ihrem Einsatzort transportiert werden. Die Detonation wird durch Zündschnüre oder Zeitschalter ausgelöst. Den größten Nutzen haben sie, wenn sich ein Held fürs Vaterland an Ort und Stelle mit ihnen in die Luft sprengt. Nur dann kann mit einiger Sicherheit vorausgesetzt werden, dass die Feindwirkung deutlich größer ist als der Kollateralschaden.

In seiner Dissertation CREATING DETERRENCE FOR LIMITED WAR (1) beschreibt der Historiker Ingo Trauschweizer eine Zusammenkunft im Pentagon, dem amerikanischen Verteidigungsminsterium, die sich als Meilenstein für den weiteren Verlauf des Kalten Kriegs in Deutschland erweisen sollte.

Am 13. November 1964 traf sich der amerikanische Verteidigungsminister McNamara mit seinem deutschen Kollegen Kai-Uwe von Hassel. In von Hassels Gefolge befanden sich der Generalinspekteur der Bundeswehr, Heinz Trettner und General Bernd Freitag von Loringhoven. Von Loringhoven war ein Zeuge der letzten Tage im Führerbunker. Heinz Trettner bezweifelte, dass die strategische nukleare Abschreckung noch glaubwürdig sei. “Flexible Response”, die gestufte Abschreckung sei nunmehr erforderlich. Diese Einschätzung teilte er mit dem amerikanischen Verteidigungsminister und dessen frischgebackenem Stabschef General Earle G. Wheeler. Die massive Vergeltung solle einem nuklearen Überraschungsangriff oder einem totalen konventionellen Angriff des gesamten Warschauer Paktes vorbehalten bleiben.

Die deutsche Generalität hatte sich auch eine Alternative zum weltweiten atomaren Overkill ausgedacht. General von Loringhoven trug das Konzept vor: Im Falle eines Angriffs der Sowjets auf Westdeutschland sollten Heer und Luftwaffe mit konventionellen Mitteln zurückschlagen. Gleichzeitig aber sollten atomare Landminen, die so genannte Atomic Demolition Munition (ADM), die bereits entlang der deutsch-deutschen Grenze deponiert worden waren, gezündet werden. Sobald NATO-Truppen in Gefahr stünden, zerstört zu werden, sollten zusätzliche taktische Atomwaffen eingesetzt werden. Eine weitere Eskalation könne vermieden werden, wenn die sowjetische Aggression auf dieser Stufe gehalten werden könne. Nach diesem deutschen Konzept sollten die Nuklearwaffen nur auf deutschem Boden und nicht gegen die sowjetischen Kommunikationslinien eingesetzt werden.

Zwischen 1953 und 1958 waren die amerikanischen Streitkräfte bereits mit taktischen Nuklearwaffen ausgestattet worden. Zu diesen zählen Kurzstreckenraketen, Haubitzen, Kanonen und natürlich Atomic Demolition Munition (3).

Der Vorschlag der deutschen Generalität war damals nicht gerade bahnbrechend neu. Bereits am 23. März 1955 explodierte auf dem amerikanischen Atomtestgelände in Nevada eine kleine Atombombe (Atomic Demolition Munition) im Rahmen eines Manövers, in dem die Führung eines taktischen Nuklearkriegs geübt wurde. Dass sich nun auch die Deutschen von dieser Idee so begeistert zeigten, dürfte Wohlklang in amerikanischen Ohren gewesen sein.

Am 4. Dezember 1964 moderierte Lou van Burg im ZDF zum ersten Mal die Spielshow “Der goldene Schuss”. Der Ausruf “Wunnebar” wurde zum Markenzeichen dieses überaus beliebten Entertainers.

Mitte Dezember wurden die Pläne zur Verteidigung unseres Landes mit ADM der deutschen Öffentlichkeit bekannt. Dies führte zu den bereits erwähnten Anrufen besorgter Bürgermeister im Verteidigungsministerium. Im Lauf der folgenden Jahre wurde das ADM-Konzept immer wieder einmal publik, löste stets einen Sturm im Wasserglas aus und wurde danach wieder vollständig verdrängt.

Deshalb konnte jeder neue Bericht über den geplanten taktischen Nuklearkrieg in Deutschland von den Medien als große Enthüllung bisher unbekannter Tatsachen verkauft werden. Die bisher letzte derartige Enthüllung erfolgte anlässlich der Veröffentlichung eines Buchs von Detlef Bald, über das noch zu sprechen sein wird.

Die 3. US-Panzerdivision (3rd Armored Division “Spearhead”) bewachte während des Kalten Krieges die deutsch-deutsche Grenze. Sie besaß natürlich auch ein beachtliches Waffenarsenal, um die sowjetischen Panzer im Falle eines Angriffs aufzuhalten. Zu diesen Waffen zählte ein Koffer. In diesem Koffer befand sich ein kleiner nuklearer Sprengsatz, eine sog. Special Atomic Demolition Munition (SADM) namens MK-54.

Am 8. Februar 1971 liberalisierte der damalige Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt mit dem so genannten Haarnetzerlass das Tragen langer Haare bei der Bundeswehr. Etwa ein Jahr später wurde der Haarnetzerlass jedoch wieder aufgehoben. Ich erinnere mich an einen General, der kurz nach dem Erlass im Fernsehen sagte: “Ich weiß nicht, wie der Feind das sieht, aber mich schrecken Soldaten mit langen Haaren ab.” Die Bundeswehr hatte 740.000 Haarnetze angeschafft. Eine krasse Fehlinvestition.

Arnold Dutcher war 1971 als Soldat der “Spearhead-Division” in Deutschland. Er schreibt in seinen Erinnerungen an diese Zeit:

“Während meines Einsatzes in Deutschland trainierte ich hauptsächlich mit der MK-54 SADM. Sie war die leichteste und kompakteste der ADM-Waffen.” Die Mission seiner Einheit, des ADM-Platoons bestand darin, “Dinge in die Luft zu sprengen, die dann Hindernisse wurden, um die Armeen des Ostblocks auf ihrem Weg nach Westen zu stoppen.” Als Ziele kamen z. B. Autobahnen in Frage. Der Einsatz der Kofferbombe wurde beständig geübt. Ein häufiges Übungsgebiet war ein Autobahnabschnitt in der Nähe Hanaus. Die Einsatzgruppe hielt die Zufahrt zum Standort der Bombe frei, beseitigte Unterholz, entfernte Äste und andere Gegenstände, die das Fahrzeug der Truppe behindert hätten. Die letzten Meter mussten Sie den Koffer tragen, der insgesamt etwa 75 kg schwer war.

Die Bombe sollte durch eine internen Zeitschalter gezündet werden. Dutcher und seine Kameraden hatten allerdings den Befehl, in Sichtweite auf die Detonation zu warten.

“Dies bedeutete er erhebliches Risiko für das Team”, schreibt Dutcher, “aber wir wussten, wie wir in Deckung gehen und uns selbst schützen konnten.” (Dutchers Bericht findet sich hier.)

Die militärische Führung des Westens waren damals davon überzeugt, dass die Sowjets einen Angriff auf Westdeutschland mit Atombombenzündungen im Weltraum über Deutschland beginnen würden, um durch den elektromagnetischen Puls die Kommunikation des westlichen Bündnisses zu stören und die Elektronik lahmzulegen.

Dann wären aus ordinären Zündkabeln gigantische Antennen für die Energie des elektromagnetischen Pulses geworden. Damals war es nämlich noch nicht möglich, die Elektronik und die Kommunikationssystem gegenüber dem elektromagnetischen Puls zu härten.

Man lief also Gefahr, dass die nuklearen Landminen überhaupt nicht oder zum falschen Zeitpunkt hochgegangen wären. Wollte man sicherstellen, dass die kleinen Atombomben punktgenau beim Herannahen sowjetischer Panzerverbände explodierten, um die Verstrahlung Deutschlands möglichst gering zu halten, dann brauchte man Leute zur Zündung der Bomben von Hand.

Man bedenke: In dieser Zeit gab es auch nicht die heute zur Routine gewordene, höchst effiziente Überwachung von Schlachtfeldern durch Satelliten.

Um Zündkabel gegenüber dem Puls zu härten, hätte man sie tief eingraben müssen – eine Unmöglichkeit angesichts der Tatsache, dass Panzerverbände im Krieg aus guten Gründen oftmals unerwartet ihre Route ändern.

Ed Mitchell, ein Offizier der US-Armee im Ruhestand, erinnert sich an seine Zeit in Deutschland:

“Ich hatte die Aufgabe, … Personal auszuwählen, das die Aufgabe erledigen konnte, doch das als entbehrlich betrachtet wurde.” (Mitchells Bericht)

Ein anderer Offizier, Rowe Attaway fügt im Hinblick auf den Ernstfall hinzu:

“Einsatzgruppen hätte man mit 7-Tage-Rationen versorgt, erwartet, dass sie die zugewiesene Aufgabe erledigen und dann abgeschrieben (written off the books).” (Attaways Bericht)

Der Umgang mit den Mini-Nukes galt unter Soldaten scheinbar als Himmelfahrtskommando. Es nützt ja nicht viel, nur irgendwo große Krater in die Landschaft zu sprengen. Um die kann der Feind natürlich herum fahren. Dafür braucht er etwas länger, aber er kommt dennoch zum Ziel.

Besser ist es, die Ladung zu zünden, wenn der Feind ihr ganz nahe ist. Dazu muss man in der Nähe bleiben und rechtzeitig auf den Knopf drücken. Dann aber hat der Anwender vermutlich nicht mehr genug Zeit, sich aus dem Staub zu machen.

Trotzdem: Für das Konzept eines begrenzten Atomkriegs waren die Mini-Nukes im Kalten Krieg einfach unentbehrlich – und so brauchte man auch Menschen, die sie an der Front oder gar hinter den feindlichen Linien einsetzten.

Am 27. 5. 1972 wird die erste Folge von “Star Trek” (“Raumschiff Enterprise) im deutschen Fernsehen gezeigt. Am 1. September wird Robert James Fischer Schachweltmeister.

Ron Chiste war als GI in Deutschland und diente in der 3. US-Panzerdivision. Im Mai 1972 erhielt er den Befehl, die taktischen Atomwaffen scharf zu machen. Was war geschehen? Präsident Richard Nixon hatte angeordnet, dass der nordvietnamesische Hafen von Haiphong bombardiert werden solle. Das Weiße Haus war sich nicht sicher, wie die Russen reagieren würden (Chistes Bericht).

Über den Einsatz dieser und anderer Atombomben auf deutschem Boden entschied die USA allein. Die wenigsten Deutschen wussten, was ihnen drohte. Nur ein paar Politiker. Ob die wohl noch im Lande gewesen wären, wenn Dutcher oder andere US-Boys unsere Autobahnen mit Atombomben in die Luft gesprengt hätten?

Ron Chiste erinnert sich an ein sog. EDP-Briefung, also eine Lagebesprechung zur Einnahme der Kriegsposition. EDP bedeutet: Emergency Deployment Position. Das Briefing war streng geheim, die Fenster wurden abgedunkelt und Wachen standen vor den Türen. Am Ende der Lagebesprechung waren Fragen erlaubt.

Chiste sagt, er müsse damals wohl noch sehr naiv gewesen sein. Er fragte nämlich, wie viel Zeit das Bataillon denn habe, um in Stellung zu gehen. Die älteren Offiziere trauten ihren Ohren nicht.

Der Instrukteur antwortete cool:

“Sie werden keine Zelte mitnehmen, keine Feldküchen oder irgend etwas dergleichen. Die C- und B-Batterien werden über die Fulda rasen und die A-Batterie wird in Reserve gehalten. Wir rechnen nicht damit, dass C und B zurückkehren werden.”

Ron Chiste betitelte seinen Bericht mit der Überschrift: “The EDP Briefing or Suicide Mission at the Fulda Gap.” Die Geschützgruppen, die in Position gebracht werden sollten, waren nuklearfähig. Im Fulda-Gap erwartete man einen Angriff sowjetischer Panzerverbände. Im diesen abzuwehren, benötigte man offensichtlich Himmelfahrtskommandos.

In einer Besprechung des Buchs von Detlef Bald zur “Politik der Verantwortung”(2) in der Süddeutschen Zeitung vom 2.3.2009 heißt es:

“Am 23.Oktober 1973 wurden in den ‘Deutschen Einsatzbeschränkungen für ADM’ die ‘Four German No’s’ für die Nato verbindlich eingeführt und in einem vertraulichen Briefwechsel von Bundeskanzler Brandt mit US-Präsident Nixon im April 1974 bestätigt. Die Punkte waren: 1. Kein Atomminen-Gürtel an der Grenze; 2. Keine Vorab-Delegation der politischen Entscheidungsgewalt zum Atomwaffeneinsatz an eine militärische Kommandobehörde; 3. Keine militärischen Planungen ohne Schutz der Zivilbevölkerung; 4. Keine Vorbereitung von Sprengkammern oder -schächten in Friedenszeiten. Wie wichtig diese Festlegungen waren, zeigt, dass noch 1970 bei einer neuen Rheinbrücke in Düsseldorf, der ‘Kniebrücke’, Kammern für nukleare Sprengladungen angebracht werden sollten. In Düsseldorf entstand dann, so de Maizière, ‘die erste Rheinbrücke ohne Sprengkammern’.”

Nach Einführung der deutschen Einsatzbeschränkungen wurden die ADM offenbar von der Grenze in grenzferne Depots der Amerikaner zurückverlegt. Die Bundeswehr unterhielt so genannte  “Spezial Sperrzüge”, deren Aufgabe darin bestand, die ADM von einem Sonderwaffenlager der Amerikaner abzuholen, zum vorgesehenen Sperrpunkt zu bringen und zu bewachen.

Ein Informant, der 1978 als Wehrpflichtiger in einem “Spezial Sperrzug” diente, erzählte mir, wie die entsprechenden Übungen abliefen. Er fuhr mit einem Spezialtransporter zu den Amis. Dort wurde die Bombe aufgeladen. Ein US-Soldat setzte sich mit entsicherter Waffe auf den Beifahrersitz. Dann ging es quer durch Deutschland zum Sperrpunkt.

Am 15. März 1973 wurde der Erotik-Film “Liebesgrüße aus der Lederhose” uraufgeführt. Er begründete das Genre der Lederhosenfilme.

Pferde neigen in Stresssituationen zur Flucht; Esel bleiben wie angewurzelt stehen.

Anmerkungen

(1) Ingo Wolfgang Trauschweizer: CREATING DETERRENCE FOR LIMITED WAR: THE U.S. ARMY AND THE DEFENSE OF WEST GERMANY, 1953-1982. Dissertation: University of Maryland, 2006

(2) Detlef Bald: Politik der Verantwortung. Das Beispiel Helmut Schmidt. Das Primat des Politischen über das Militärische 1965-1975. Mit einem Vorwort von Helmut Schmidt. Berlin, Aufbau Verlag 2008

(3) Alan Gary Maiorano: The Evolution of United States and NATO Tactical Nuclear Doctrine and Limited Nuclear War Options, 1949-1984. Master Thesis. Naval Postgraduate School Monterey, Ca., 1983, Seite 37

(4) Ich überlasse dem interessierten Leser die Recherche im Netz.

(5) vgl. u. a. Hersha (2001), Rutz (2001)

(6) Riedesser, P. & Verderber, A. (1996). “Maschinengewehre hinter der Front”. Zur Geschichte der deutschen Militärpsychiatrie. Frankfurt a. M.: Fischer; Siemen, H.-L. (1982). Das Grauen ist vorprogrammiert. Psychiatrie zwischen Faschismus und Atomkrieg. Giessen: Focus-Verlag

(7) Nachgewiesen sind Gehirnwäsche-Projekte bei der CIA und bei der amerikanischen Armee; dass auch andere militärische Organisationen auf diesem Feld tätig waren, darf als überaus wahrscheinlich gelten.

Weiterführende Literatur

Bowart, W. H. (1995). Operation Mind Control, Revised and Expanded Edition. Fort Bragg, Ca., Flatland Editions

Collins, A. (1988). In the Sleep Room. The Story of the CIA Brainwashing Experiments in Canada. Toronto, Lester & Orpen Dennys Ltd.

DeCamp, J. W. (1996). The Franklin Cover-up. Child Abuse, Satanism, and Murder in Nebraska. Second Edition. Lincoln, Nebraska, AWT, Inc.

Fröhling, U. (1996). Vater unser in der Hölle. Seelze-Velber, Kallmeyer’sche Verlagsbuchhandlung

Ganser, D. (2005). NATO’s Secret Armies. Operation Gladio and Terrorism in Western Europe. London and New York: Frank Cass

Hersha, C. et al. (2001). Secret Weapons. Far Hills, N.J., New Horizon Press

Lee, M. A. & Shlain, B. (1992). Acid Dreams. The Complete Social History of LSD: The CIA, the Sixties, and Beyond. New York, Grove Press

Marks, J. (1979, 1991). The Search for the Manchurian Candidate. The CIA and Mind Control. New York, Times Book

Moreno, J. D. (2000). Undue Risk. Secret State Experiments on Humans. New York, Freeman and Company

Ross, C. A. (2000b). Bluebird. Deliberate Creation of Multiple Personality by Psychiatrists. Richardson Tx., Manitou Communications

Rutz, C. (2001). Nation Betrayed. Secret Cold War Experiments Performed on Our Children and Other Innocent People. Grass Lake, MI, Fidelity Publishing

Sargant, W. (1997). Battle for the Mind. A Physiology of Conversion and Brainwashing. How Evangelists, Psychiatrists, Politicians, and Medicine Men Can Change Your Beliefs and Behavior. Cambridge, MA, Malor Book (Erstveröffentlichung 1957)

Scheflin, A. W. & Opton, E. M. (1978). The Mind Manipulators. New York, Paddington Press

Thamm, B. G. (1994). Mehrzweckwaffe Rauschgift. Von Kampfgiften, Verhördrogen und Wahrheitsseren. Hilden, Verlag Deutsche Polizeiliteratur (VDP)

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