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Die “Multiple Persönlichkeitsstörung”

Nach gängiger Theorie entsteht eine multiple Persönlichkeit als spontane Reaktion auf ein überwältigendes Trauma. Die Spaltungen seien als Coping zu verstehen, als Versuch der Bewältigung. Die Bewältigung bestehe darin, zwischen zwei (oder mehreren) Alter Egos oder Ich-Zuständen bzw. Pseudo-Persönlichkeiten zu wechseln. Die erste Spaltung erfolge bereits zwischen dem dritten und dem sechsten Lebensjahr, mitunter auch früher.

Kognitive Komplexität ist ein Begriff aus der Kognitionswissenschaft. Er bezieht sich auf die Zahl und den Abstraktionsgrad der Konstrukte, mit denen wir unsere Welt erfassen. Ein stark vereinfachtes Maß dafür ist die Zahl der Variablen, die wir bei einer Entscheidung berücksichtigen können.

Unter “Coping” versteht man die situationsentsprechende Veränderung des Verhaltens und der mentalen Operationen zur Vermeidung oder Minimierung von Stress. Manche unterscheiden hier zwischen bewussten Coping und unbewussten Abwehrmechanismen.

Aus meiner Sicht ist die Entscheidung unerheblich, weil es sich immer um eine Ich-Funktion handelt. Ich-Funktionen können bewusst oder unbewusst realisiert werden; die eingesetzten kognitiven Ressourcen sind, abgesehen von der Aufmerksamkeit, identisch.

Man kann nun auch die Operation der Spaltung zum Zwecke der Trauma-Bewältigung unter dem Gesichtspunkt der kognitiven Komplexität betrachten. Das kognitive System des traumatisierten Kindes sieht sich bei seiner Coping-Entscheidung in der einfachsten Form vor folgende Alternative gestellt:

Gegeben seien zwei Alter-Egos oder Ich-Zustände, nämlich A und B. Außerdem seien zwei Situationen (x, y) mit unterschiedlichen Qualitäten gegeben (die eine könnte z. B. bedrohlich, die andere ungefährlich wirken). Daraus ergibt sich folgendes System von Implikationen:

  • Wenn x, dann A.
  • Wenn y, dann B.

Das Maß der kognitiven Komplexität ist hier also (nach der oben angegebenen vereinfachten Form) 4,  denn die Entscheidung muss vier Variablen (x, y, A, B) berücksichtigen.

Glenda Andrews und Graeme S. Halford sind der Frage nachgegangen, wie sich die kognitive Komplexität, die Kinder auf verschiedenen Altersstufen zu meistern vermögen, entwickelt. Ihre Experimente zeigten, dass Kinder Entscheidungen auf Basis dreigliedriger Relationen (drei Variablen) erst ab einem Alter von durchschnittlich fünf Jahren korrekt zu fällen vermögen (1).

Aus meiner Sicht begründet dieser Befund erhebliche Zweifel an der These, dass die Multiple Persönlichkeitsstörung spontan als Coping-Mechanismus in früher Kindheit entsteht. Die kognitive Komplexität, die mit einer adaptiven Spaltung verbunden ist, kann von Kindern in diesem Altern gar nicht bewältigt werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei dieser Spaltung angeblich um eine spontane Reaktion handelt, also um eine Anpassungsleistung, die vom kindlichen Gehirn ohne Anleitung durch Erwachsene erfolgen soll.

Man bedenke auch, dass die Situationen (x,y), auf die ein Kind zum Zwecke der Traumabewältigung reagieren soll, in aller Regel nicht nur aus einem Signal bestehen. Sie stellen selbst wieder eine komplexe Konfiguration von Hinweisreizen dar.

Beispiel: Ein fünfjähriges Kind wird von seinem Vater sexuell missbraucht. Tagsüber geht es in den Kindergarten. Eine Coping-Strategie könnte darin bestehen, dass sich das Kind in zwei Personen (Ich-Zustände, Ego States) spaltet: Lolita und Doris. Lolita ist dem Vater im Bett liebevoll zu Willen; Doris ist ein braves Kindergartenmädchen mit altersgerechtem Verhalten.

Man möge sich die kognitive Komplexität vor Augen halten, die dieses Mädchen angeblich im zarten Alter von fünf Jahren aus eigenem Antrieb zu bewältigen vermag. Und dabei haben wir nur die kognitive Komplexität berücksichtigt und die emotionale Verarbeitungskapazität noch gar nicht ins Auge gefasst.

Die Forschung zeigt im Übrigen, dass Kleinkinder nur ein sehr rudimentäres, gleichsam “physikalistisches” Selbstbild besitzen. Das Wissen über die eigene Person ist stark zentriert um äußerlich sichtbare Merkmale (Haarfarbe, Größe, Geschlecht). Bis zum Alter von sechs Jahren gelingt es Kindern nicht, zwischen physischen und psychischen Merkmalen von Personen (auch der eigenen) zuverlässig zu unterscheiden. Erst mit etwa 9 bis 11 Jahren ist das Kind in der Lage, ein reflexives Verhältnis zu sich selbst aufzubauen (2).

Nun soll sich aber die so genannten multiple Persönlichkeitsstörung bereits in frühester Kindheit durch Traumatisierung allein entwickeln. Das Kind soll sich zum Zweck des Überlebens aufspalten.  Anhänger der gängigen Theorie werden vermutlich argumentieren, dies geschehe unbewusst. Mir will aber nicht einleuchten, dass ein Kind unbewusst können sollte, wozu es bewusst de facto nicht in der Lage ist.

Aus meiner Sicht ist es dazu noch nicht in der Lage, weil die psycho-biologische Entwicklung zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht weit genug fortgeschritten ist. Meines Wissen werden “Multiple Persönlichkeitsstörungen” nur sehr, sehr selten bei Kleinkindern diagnostiziert, obwohl sich die Betroffenen angeblich genau in dieser frühen Phase der menschlichen Entwicklung spalten.

Eine andere Erklärung erscheint mir wesentlich plausibler:

Ich räume ein, dass Persönlichkeit auch auf angeborenen Faktoren beruht und daher auch eine gewisse Eigendynamik anzunehmen ist.

Andererseits aber ist Persönlichkeit ein Instrument zur Reduktion von Komplexität in sozialen Interaktionen und hier dürfte der biologische Sinn von Persönlichkeit liegen. Tiere, die solitär leben und allenfalls zur Kopulation zusammenfinden, brauchen keine oder kaum Persönlichkeit.

Aus diesem Grund ist Persönlichkeit auch etwas, was in sozialen Lernprozessen geformt wird, und zwar maßgeblich. Denn ohne diese Formung könnte sie ihre biologische Funktion nicht erfüllen.

Kinder lernen zwar viel implizit, durch Beobachtung, durch Nachahmung. Die wichtigste Dimension kindlichen Lernens ist aber das vermittelte, nicht das unmittelbare Lernen. Vermittler sind Mutter, Vater, Geschwister, Spielkameraden, Erzieherinnen etc. Eine zentrale Rolle spielen natürlich die Eltern.

Persönlichkeitsentwicklung, so heißt es, vollziehe sich im Spiegel signifikanter Anderer. Multiple Persönlichkeitsentwicklung dann wohl auch.

Echte multiple Persönlichkeiten werden von ihren Eltern unter Anleitung von Fachleuten bewusst geformt. Diese Fachleute sind mit der Psychobiologie der kindlichen Entwicklung bestens vertraut und stimmen ihre Maßnahmen auf den jeweiligen Entwicklungsstand ab.

  • Die Aufzucht multipler Persönlichkeiten beginnt aus meiner Sicht sofort nach der Geburt mit einem “Love-bombing”, das natürliche Mutterliebe noch weit übersteigt. Die Kinder sollen ja eine solide Basis haben, damit sie durchhalten, was sich daran anschließt, und nicht etwa sterben.
  • Danach erfolgt ein unspezifisches Dissoziationstraining durch Folter, oft in Käfigen mit elektrischen Kontakten auf den Böden. Die Folterungen erfolgen mitunter systematisch, mitunter zufällig. Stets variieren dabei zentrale Merkmale des Wahrnehmungsfeldes. Farben können eine Rolle spielen, Klänge, Kostüme, Masken.
  • Ist das Kind etwas älter, schließt sich eine Zweiteilung an, meist in ein “Tagkind” und ein “Nachtkind”.
  • Wenn das sitzt, erfolgt die “Triangulation” in das wahre Selbst (Persönlichkeitskern), die Frontpersönlichkeit und eine Vermittlungsinstanz zwischen beiden, einen Mediator, der gleichzeitig als “Schnittstelle” für die Täter gilt. Diese ist der Empfänger für die “Programmierung”.
  • Das ist das Fundament. Darauf setzt später, wenn das Kind kognitiv-affektiv dazu in der Lage ist, das so genannte Mauerwerk auf. Dieses besteht aus Derivaten des Mediators, der für Spezialaufgaben aufgespalten wird.
  • Die wichtigste Abspaltung ist eine Pseudo-Persönlichkeit, die für alle anderen die Schmerzen der Folter erträgt. Sie wird zu einer “Batterie des Schmerzes” geformt und liefert die psychische Energie für das gesamte “Betriebssystem”.
  • Weitere Abspaltungen können z. B. Prostituierte (auch Kinderprostitution), Soldaten (auch Selbstmordbomber) und “Hellseher” (für Remote-Viewing-Experimente sein; hier sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt.

Dieser Erziehungsprozess findet ist einer “virtuellen totalen Institution” statt, die eine Mischung aus Folterkammer, Kadettenanstalt und Schauspielschule sowie nach außen scheinbar normalem Familienleben darstellt.

Zu beachten ist auch, dass die Dressur nicht funktionieren würde, wenn die Täter nicht in der Lage wären, das soziale Umfeld der Kinder zu kontrollieren – sei es durch Erpressung, Bestechung oder auf Grundlage von Loyalität gegenüber den Tätern oder des Systems, das sie repräsentieren.

Die Prozesse sind natürlich viel komplexer, als ich sie hier in einer kurzen Tagebuch-Notiz skizzieren kann.

Echte multiple Persönlichkeiten sind sehr selten, weil ihre Aufzucht aufwändig, riskant und kostspielig ist. Häufig sind die Ergebnisse auch nicht zufriedenstellend. Gelingt die Dressur jedoch, so haben die Täter eine gefährliche Waffe in der Hand, eine Waffe aus Fleisch und Blut. Sie verwirklicht zuverlässig jeden Befehl, als ob sie eine “Drohne” wäre. Aber sie ist viel intelligenter als alle “Drohnen”, die heute zu militärischen Zwecken eingesetzt werden.

Mir ist bewusst, dass ich mich mit meinen Positionen weitab vom psychotherapeutischen und psychiatrischen Mainstream bewege. Praxen und Kliniken sind ja voll von Leuten, die als “multiple Persönlichkeiten” diagnostiziert wurden. Aus meiner Sicht liegt diesen Diagnosen ein theoretisches Konzept zugrunde, das nicht mit den Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie und Entwicklungsbiologie übereinstimmt.

Um es kurz zu machen: Ich schließe mich weitgehend dem Urteil von August Piper und Harold Merskey an: “DID is best understood as a culture-bound and often iatrogenic condition (3).”

Warum nur oft? Aus meiner Sicht ist die multiple Persönlichkeit immer eine iatrogene “Krankheit”.

  • Denn die Prozeduren, mit denen die echten multiplen Persönlichkeiten produziert werden, erfordern die Mitwirkung von psychiatrisch qualifiziertem Personal.
  • Und die unechten multiplen Persönlichkeiten, die ihre innere Zerrissenheit zeitbedingt als “Multiple Persönlichkeitsstörung” inszenieren, bedürfen ebenfalls des Arztes (bzw. des approbierten Psychologen), der sie so diagnostiziert und sie bei dieser Inszenierung ermutigend begleitet.

Weder die echten, noch die unechten Persönlichkeitsstörungen sind Krankheiten. Die echten sind vielmehr Zustände während und nach einer Gehirnwäsche. Die unechten aber sind Inszenierungen, Rollenspiele, bei denen “Patienten” und “Therapeuten”, meist ohne zu wissen, was sie tun, vertrauensvoll zusammenwirken.

Anmerkungen

(1) Andrews, G. & Halford, G. H. (2002) A cognitive complexity metric applied to cognitive development. Cognitive Psychology, Volume 45, Issue 2, September 2002, Pages 153–219
(2) Immelmann, K. et al. (1988). Psychobiologie. Grundlagen des Verhaltens. Stuttgart, Weinheim: Gustav Fischer Verlag; Psychologie VerlagsUnion, Seite 422
(3) Piper, A. & Merskey, H. (2004). The Persistence of Folly: A Critical Examination of Dissociative Identity Disorder. Part I. The Excesses of an Improbable Concept.  Can J Psychiatry, Vol. 49, No. 9

PS

Die neuere Forschung deutet darauf hin, dass “Traumatisierung” grundsätzlich, also nicht nur bei Kindern, keine unmittelbare Folge eines schmerzhaften, Furcht erregenden oder demütigenden Ereignisses ist, sondern dass den Umweltbedingungen nach diesem Ereignis und hier vor allem den Interaktionen mit anderen Menschen eine entscheidende Bedeutung beigemessen werden muss: PLOS Blogs, Neuroanthropology: Trauma – The Importance of the Post-Trauma Environment, 27.12.2012

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