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Eskalation der Perversion: Zur Frühgeschichte der Atombombe

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Einsteins Brief

Ein ungelegener Besuch

Im Juli 1939 genoss der Physiker Albert Einstein seinen Urlaub in Peconic, einem malerischen Küstendorf am äußersten Zipfel von Long Island, einer Insel, die sich von den Häfen New Yorks nach Norden in den Atlantik erstreckt. Seine Lieblingsbeschäftigung bestand darin, sich mit seinem kleinen Segelboot “Tinnef” die Zeit zu vertreiben.

Am 16. Juli störten Einsteins Physikerkollegen Leó Szilárd und Eugene Paul Wigner seine Urlaubsruhe. Einstein zeigte sich wenig begeistert über diese Störung. Er unterhielt sich gerade mit einem Freund, David Rothman, dem Besitzer eines Warenhauses im nahe gelegenen Southold (Rothman, o. J.).

Doch Szilard und Wigner hatten viel Mühe darauf verwendet, den Begründer der Relativitätstheorie ausfindig zu machen, nachdem sie sein Haus in Princeton verschlossen gefunden hatten – und nichts lag ihnen ferner, als unverrichteter Dinge wieder abzuziehen. Dazu war ihr Anliegen viel zu ernst.

Einstein trug Pantoffeln, ein Unterhemd, eine Hose, die von einem Strick gehalten wurde und deren Beine er aufgekrempelt hatte. Er musste schnell erkennen, dass sich seine Kollegen nicht abwimmeln lassen wollten. Sie machten einen außergewöhnlich entschlossenen Eindruck. Und so bat Einstein sie auf seine überdachte Veranda (Hoffmann, 1995, 81 f.).

Szilárd hatte bei Einstein in Berlin studiert und damals dessen Aufmerksamkeit durch eine brillante Arbeit über ein schwieriges Gebiet der statistischen Thermodynamik erregt. Gemeinsam erfanden Szilárd und Einstein einen Kühlschrank ohne bewegliche Teile und meldeten ihn zum Patent an. Wigner hatte Einstein und Szilárd ebenfalls als Student in Berlin kennen gelernt. Zusammen mit Szilárd entwickelte Wigner die Theorie der nuklearen Kettenreaktion.

Szilárd, der diesen Besuch initiiert hatte, trieb die Sorge um, dass deutsche Physiker versuchen könnten, eine Atombombe zu entwickeln, und er hatte seinen Freund Wigner davon überzeugt, dass man einen Mann von der Reputation Einsteins gewinnen müsse, um die amerikanische Regierung vor dieser Gefahr zu warnen.

Im Dezember 1938 hatten die deutschen Physiker Otto Hahn und Fritz Straßmann am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin die Kernspaltung entdeckt (Hahn & Straßmann, 1938). Nachdem die Physiker Lise Meitner und Otto Frisch die Experimente Hahns und Straßmanns einer bahnbrechenden wissenschaftlichen Analyse unterzogen und die Kernspaltung physikalisch erklärt hatten, war den Nationalsozialisten die Bedeutung dieser Entdeckung klar. Sie entschieden, die in den böhmischen Gruben von Joachimsthal geförderten Uranerze der alleinigen deutschen Nutzung vorzubehalten. Die braune Führung rief ein Uranprojekt ins Leben, das die technischen Möglichkeiten der soeben entdeckten Kernspaltung ausloten sollte (Walker, 1990). Am 29. April 1939 fand in Berlin eine “Uransitzung” statt. Die Nazis hatten den Präsidenten der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, Prof. Abraham Esau damit beauftragt, dieses hochkarätig besetzte Symposium auszurichten. Diese Entwicklungen hatte Szilárd in hohem Maße beunruhigt.

Zum Zeitpunkt des Treffens Szilárds, Wigners und Einsteins und bis zum Ende des Krieges verfügten die amerikanischen und die in die USA emigrierten Wissenschaftler allerdings nur über sehr widersprüchliche und großteils falsche Informationen über das deutsche Atomprogramm (Walker, 2002). Dies führte beinahe zwangsläufig dazu, die Fortschritte und Möglichkeiten des Feindes zu überschätzen.

Szilárd unterrichtete Einstein über den aktuellen Stand der Uranforschung, die nicht zu den Spezialgebieten des Urhebers der Relativitätstheorie zählte.

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