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Aus gegebenem Anlass: Schon wieder Mollath

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Zitat aus der SZ:

“Der Zeitpunkt ist verstörend. Keine 24 Stunden nach dem Auftritt von Gustl Mollath vor dem Landtag erklärt nun die Strafvollstreckungskammer Bayreuth: Mollath bleibt weggesperrt. Noch verstörender ist die Begründung. Der Psychiater, der für das letzte Gutachten verantwortlich zeichnet, aufgrund dessen Mollath in der Psychiatrie bleiben muss, dieser Gutachter fühle sich “extrem beeinträchtigt” von den negativen Reaktionen auf seine Arbeit. Das Gericht hatte ihn im Lichte der neuen Erkenntnisse mit einer ergänzenden Stellungnahme beauftragt, diese verweigert der Gutachter nun offenbar.”

Mein Kommentar:

Es heißt, Mollath habe vor dem Untersuchungsausschuss rational und beherrscht gewirkt, er habe seine Position ruhig und durchdacht vorgetragen, er habe beileibe nicht den Eindruck eines Spinners oder gar eines gefährlichen Irren erweckt.

So sehen ihn Menschen mit gesundem Menschenverstand. Allein, der forensische Psychiater bringt sein wissenschaftliches Konstrukt der “Dissimulation” in Anschlag. Es sei, so sagt er, für den “psychisch Kranken” ganz typisch, seelische Gesundheit vorzutäuschen.

Ganz gleich also, was der Proband sagt oder tut, ob er die für ein “Krankheitsbild” charakteristischen Merkmale zeigt oder nicht – der Diagnostiker entscheidet, wie es in seinem Inneren aussieht.

Nun muss man allerdings wissen, dass psychiatrische Diagnosen subjektiv sind. Es gibt keine Laborwerte, keine Biomarker, keine objektiven Verfahren, um sie zu erhärten. Daher ist eine Diagnose natürlich dogmatisch. Und mit dem Konstrukt der “Dissimulation” wird sie sogar zu einem – um einen Begriff Karl Poppers zu verwenden – doppelt verschanzten Dogmatismus. Sie immunisiert sich perfekt selbst.

Die psychiatrische Diagnose ist erstens dogmatisch, weil sie nicht auf objektiv überprüfbaren Fakten beruht, sondern auf subjektiven Bewertungen. Sie ist zweitens dogmatisch, weil sie nicht anhand der angeblichen Kriterien des subjektiven Urteils widerlegt werden kann. Schließlich kann, wenn der Diagnostizierte die als Grundlage der subjektiven Bewertung dienenden, beobachtbaren Verhaltensmuster nicht zeigt, immer eine Dissimulation unterstellt werden. Die unausgesprochene Anklage lautet: „Dass Sie so vernünftig reden, beweist doch, wie verrückt Sie sind, sonst hätten Sie es doch gar nicht nötig, so zu tun als ob.“

Eine Diagnose, die sich gegen Kritik immunisiert, kann keine wissenschaftliche sein. Denn der Motor jeder Wissenschaft ist die Kritik. Damit aber eine Diagnose kritisierbar sein kann, muss sie in einer überprüfbaren Form vorgetragen werden. Es muss also Kriterien geben, anhand derer die Diagnose unabhängig von Diagnostiker beurteilt werden kann. Ist dies nicht der Fall, dann ist die Diagnose nicht falsifizierbar und demgemäß ein Dogma. Aus meiner Sicht haben dogmatische Gutachter vor Gericht nichts zu suchen.

Wenn man die “Logik” des doppelt verschanzten Dogmatismus akzeptiert, dann hat der Diagnostizierte solange unrecht, wie ihm der Diagnostiker nicht recht gibt. Daher muss Mollath weiter hinter psychiatrischen Gittern einsitzen, weil sich der Diagnostiker weigert, ihm recht zu geben.

Wollen wir, wollen wir Bürger, wir Bürger eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats diese “Logik” tatsächlich akzeptieren, auch wenn sie dem gesunden Menschenverstand ins Gesicht schlägt? Ist unser Respekt vor Experten wirklich so groß, dass wir ihnen auch dann noch trauen, wenn ihre Erfolge in der Praxis überaus dürftig sind? Oder ist genug genug, wenn kalauernde Psychiaterwitze zur düsteren, grausamen Realität mutieren?

PS: Mollath hat nur eine Chance, um von einem doppelt verschanzt dogmatischen forensischen Psychiater eine halbwegs günstige Prognose zu erhalten: Er müsste sich “krankheitseinsichtig” zeigen, er müsste bei seiner “Therapie” aktiv mitwirken und er müsste Anzeichen der “Besserung” erkennen lassen, kurz: er müsste so lange und durchdringend lügen, bis sich die Balken bzw. die Bretter vor den Köpfen forensischer Psychiater biegen. Denn “Heilung” bedeutet in diesem Metier – dies scheint auch der Fall Mollath wieder einmal zu bestätigen – nichts anderes als möglichst theatralische, möglichst werbewirksame Inszenierung von Unterwerfung. Mollath wäre vermutlich längst draußen, wenn er rechtzeitig gelogen und sich zum Schein unterworfen hätte.

Nebenbei: Da psychiatrische Diagnosen nicht valide sind, kann man weder objektiv feststellen, ob einer “psychisch krank” ist, noch, ob er “geheilt” oder “gebessert” wurde. Dazu fehlen einfach belastbare Daten, die unabhängig von der Meinung des Diagnostikers überprüfbar sind. Dieser Sachverhalt verdammt dieses Gewerbe zur Theatralik. Daran hat sich seit Jean-Martin Charcots Theater der Hysterie nichts geändert.

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