Im Nachgang zum Wiederaufnahmeprozess äußerte sich Rechtsanwalt Strate kritisch über seinen Mandanten:
“Man kann nicht, wie Herr Mollath, alle möglichen Vorwürfe zur Steuerehrlichkeit thematisieren und gleichzeitig zu dem konkreten Vorwurf der Körperverletzung vage bleiben, wie er das getan hat”, sagte der Jurist laut T-Online.
Einerseits ist dies natürlich nicht zu bestreiten. Mollath wäre glaubwürdiger gewesen, wenn er seine Behauptung, er habe sich nur gegen Angriffe seiner Frau gewehrt, mit einer detaillierten und kunstvoll ausgeschmückten Geschichte untermauert hätte. So sind die Leute nun einmal. Je detailreicher eine Story ausgestaltet wird, desto überzeugender wirkt sie. Das ist das Basiswissen jedes Romanautors. Allein, so kann man Menschen auch leicht täuschen.
Es kann viele Gründe haben, warum sich Gustl Mollath so wortkarg über die körperliche Auseinandersetzung mit seiner Frau äußerte:
- Sie belastete ihn, weil er der Täter war und er sie gern verdrängen möchte.
- Sie belastete ihn, weil er der Angegriffene war und er sie gern verdrängen möchte.
- Sie belastete ihn, weil er auf Angriffe zu heftig reagierte und er sie gern verdrängen möchte.
- Er war der Täter und fürchtete, sich in Widersprüche zu verstricken.
- Er war das Opfer und fürchtete, Missverständnisse heraufzubeschwören.
Es gibt viele andere Gründe für Mollaths Wortkargheit, und da wir nicht in seinen Kopf schauen können, werden wir vermutlich nie erfahren, was ihn tatsächlich dazu veranlasste, die Richterin zu brüskieren, als sie ihn nach dem Hergang fragte.
Fakt ist, dass ein ordentlicher Geschichtenerzähler mühelos eine glaubwürdige Geschichte vortragen kann, ganz gleich, ob er schuldig ist oder nicht. Und wer zudem noch gut lügen kann, ohne rot zu werden, hat auch beste Chancen, mit solchen Geschichten vor Gericht und im Leben allgemein durchzukommen.
Seitdem sich die moderne Psychiatrie von der Philosophie löste und sich zu einer eigenständigen, experimentellen Wissenschaft entwickelte, sind die Täuschung und die Möglichkeiten, Lügner zu entlarven, ein zentraler Forschungsgegenstand dieser Disziplin (1). Es ist nicht viel dabei herausgekommen, außer der Gewissheit, dass ein geschickter Lügner sogar einen Fachmann zu täuschen vermag, und sei dieser auch mit einem Lügendetektor und mit Maschinen zum Durchleuchten des Gehirns ausgerüstet.
Wenn sich Gustl Mollath also gesprächiger gezeigt hätte, dann wüssten wir de facto nicht mehr als jetzt. Es wäre zwar klüger gewesen, sich eingehender zu äußern, aber der Wahrheitsfindung hätte dies nicht gedient. Aus dem Bauch heraus, bin ich sogar geneigt, dem Mann seine “Vagheit” zum “konkreten Vorwurf der Körperverletzung” zugutezuhalten. Mollath ist wortgewandt und klug genug, sich die Wirkung einer geschickt konstruierten Geschichte auszumalen. Dass er darauf verzichtet hat, spricht recht eigentlich für ihn.
Anmerkung
(1) Pettit, M. (2013). The Science of Deception. Psychology and Commerce in America. Chicago: The University of Chicago Press
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