Ein Mensch sitzt im Maßregelvollzug. Psychisch krank sei er und gefährlich. Sagt die Psychiatrie. Der Anlass für seine Einkerkerung war eher geringfügig. Der Mensch hatte im Bus einen Fahrgast, der neben ihm saß, vom Sitz gestoßen. Im Maßregelvollzug muss der Mensch arbeiten. Dies diene seiner Rehabilitation. Deswegen spricht die Psychiatrie von Arbeitstherapie.
Draußen vor der Klinik stehen seine Unterstützer. Neuerdings stehen immer Unterstützer vor derartigen Kliniken. Und Zeitungsschreiber. Und Fernsehteams. Manchmal schaut ein Prominenter vorbei. Es geht voran.
Der Mensch fertigt lebensgroße Puppen für Geisterbahnen auf Jahrmärkten. Dabei wird er von einem mehrfachen Kinderschänder angeleitet, der ein besonderes handwerkliches Geschick besitzt. Die Produktion der Puppen wird von einem privaten Unternehmen organisiert. Die Puppen haben die Gesichter bekannter Politiker.
Die Unterstützer halten Plakate hoch. Auf diesen ist zu lesen: “Nieder mit der Sklavenarbeit!” Ein Fernsehteam interviewt einen Sprecher des privaten Unternehmens. Er sagt, es handele sich ein philanthropisches finanzielles Projekt, das ausschließlich den Interessen der beteiligten Patienten diene.
Wer hat recht? Was eigentlich unterscheidet Arbeitstherapie von schierer Ausbeutung oder gar Sklavenarbeit? Da muss es doch irgendeinen Maßstab geben. Man kann ja nicht nach Belieben jede Art von Tätigkeit zur Therapie erklären. Es sollte sich schon ein Erfolg einstellen, der den Begriff auch rechtfertigt. Und dieser Erfolg sollte sich auch nachweisen lassen.
Man könnte beispielsweise aus der Grundgesamtheit von angeblich psychisch kranken Straftätern zufällig eine Stichprobe ziehen und sie ebenso zufällig auf drei Gruppen verteilen. Die eine Gruppe erhält Arbeitstherapie im Maßregelvollzug. Bei einer weiteren Gruppe wird die Maßregel ohne Arbeitstherapie vollzogen. Ein dritte Gruppe schließlich wird in den normalen Strafvollzug gesteckt. Nach einiger Zeit stellt man dann fest, wer häufiger Arbeit hat, wer mehr verdient, wer zufriedener ist etc.
In einem Standardwerk heißt es gleich zu Beginn eines Kapitels mit dem Titel: “Einige Ergebnisse aus evaluativen wissenschaftlichen Studien zur Arbeitstherapie und Arbeitsrehabilitation”:
“Die Datenlage im Bereich der Evaluation arbeitsrehabilitativer Maßnahmen wird insgesamt als lückenhaft und unbefriedigend empfunden (1).”
Mit anderen Worten: Recht eigentlich wissen wir nicht so genau, ob es sich bei Arbeitsprojekten in geschlossenen Anstalten um Therapie oder um Ausbeutung und Sklaverei handelt.
Zur Zeit erregt die so genannte Modellauto-Affäre große Aufmerksamkeit in den Medien. Es geht um einen Mehrfachmörder, der im Auftrag einer Privatfirma, zusammen mit einem Team von Insassen des Maßregelvollzugs, sündhaft teure Nachbildungen von Kraftfahrzeugen fertigte. Eine bayerische Politikerin und ihr Ehemann sollen in diese Affäre verwickelt sein. Sie sollen angeblich einen ehemaligen Geschäftspartner betrogen und Steuern hinterzogen haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Näheres hierzu findet sich beispielsweise in der Augsburger Allgemeinen.
Nun gehöre ich wirklich nicht zu jenen, die vorschnell den Stab über andere Menschen brechen, und erst recht neige ich dazu, zu bayerischen Politikern ehrfurchtsvoll aufzublicken, solange zumindest, bis das wirklich nicht mehr geht. Und so vertraue ich auch in diesem Fall darauf, dass sich der Fall schon aufklären lässt. Sicher können die Klinik und die Besitzer des Privatunternehmens nachweisen, dass es sich bei diesen Arbeitseinsätzen tatsächlich um Therapie gehandelt hat. Schon bald, so nehme ich an, werden sie eine methodisch saubere Studie vorlegen, die den Erfolg des Modellbaus für die Patienten im späteren Leben beweist.
Ein schmaler Grat, fürwahr, ist diese Arbeitstherapie.
Doch virtuos eingesetzt, ist sie ein Instrument, das Wunder zu wirken vermag. Ich erinnere mich an ein verrottetes Gebäude. Abriss schien die beste Lösung. Dann zog eine Truppe von hoffnungslosen Alkoholikern ein. Soziotherapie. Ein großer, einschlägig tätiger Träger stand im Hintergrund. Wenn man Alkoholiker, zumal hoffnungslose, ordentlich arbeiten lässt, dann geht es ihnen schon bald, den Umständen entsprechend, auch wieder besser. Klipp klapp. Was sagte ich: Nach ein paar Jahren, schau nur: Ein blühendes Anwesen, ein Zentrum vom Feinsten, aufgebaut mit wenig Fremdmitteln, von vielen fleißigen Händen. Für Taschengeld. Evaluation? Wozu? Genügt es nicht, in die zufriedenen Mienen zu schauen?
Anmerkung
(1) Köhler, K. & Steier-Mecklenburg, F. (2008). Arbeitstherapie und Arbeitsrehabilitation. Stuttgart: Thieme, Seite 84
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