Oftmals behaupten die Befürworter einer medikamentösen Therapie der so genannten psychischen Krankheiten, dass die Psychopharmaka spezifisch auf die pathologischen Prozesse einwirkten, die jeweils die eine oder andere “psychische Krankheit” verursachten. Mag diese These auch plausibel klingen, es gibt nicht den Hauch eines empirischen Beweises für sie (Moncrieff & Cohen 2005).
Da jedoch nicht bestritten werden kann, dass diese Drogen Wirkungen haben, stellt sich die Frage, auf welchen anderen Mechanismen sie beruhen. Ich bin weit davon entfernt, eine schlüssige Antwort auf diese Frage geben zu können. Allenfalls kann ich mit Hypothesen aufwarten. Ich neige dazu, mit möglichst einfachen Hypothesen zu beginnen und sie dann Schritt für Schritt zu verfeinern, wenn ihnen bekannte Tatsachen widersprechen.
Beispiel: Neuroleptika. Die Dopamin-These ist gescheitert (Gøtzsche 2013). Andere Thesen zur spezifischen “antipsychotischen” Wirkung dieser Substanzen sind nicht in Sicht. Warum also wirken sie dennoch? Es ist ja nicht zu bestreiten, dass sich viele der damit behandelten Patienten nach einiger Zeit des Substanzkonsums angepasster verhalten als zuvor. Manche erscheinen zwar apathisch, emotional verflacht, mitunter roboterhaft, aber immerhin bekunden sie deutlich seltener Halluzinationen oder Wahnideen.
Neuroleptika haben bekanntlich unerwünschte Wirkungen. Das altehrwürdige “Royal College of Psychiatrists” listet folgende “Nebenwirkungen” auf:
Ältere Neuroleptika:
- Steifheit und Zittern, wie bei der Parkinson-Erkrankung
- sich träge und langsam im Denken fühlen
- unangenehme Unruhe (Akathisie)
- einige können den Blutdruck beeinflussen und Schwindelgefühle hervorrufen
- Probleme mit dem Sex-Leben
- Probleme mit dem Anschwellen der Brust oder Empfindlichkeit
Neuere Neuroleptika:
- Schläfrigkeit und Langsamkeit
- Beeinträchtigung des Sexuallebens
- Erhöhte Diabetes-Wahrscheinlichkeit
- Einige können die Blutdruck beeinflussen und Schwindelgefühle hervorrufen
- Bei hoher Dosierung sind einige wie die alten Neuroleptika mit Parkinson-ähnlichen Nebenwirkungen verbunden
- Langfristiger Gebrauch kann Bewegungen des Gesichts oder, seltener, der Arme und Beine hervorrufen (Spätdyskinesie).
Derartige Effekte können bei jeder Dosierung auftreten, aber ihre Wahrscheinlichkeit und Stärke steigt natürlich mit der Höhe der Dosierung. Diese Wirkungen sind unangenehm: quälend und / oder Besorgnis erregend. Menschen neigen dazu, solche Phänomene zu vermeiden.
Nun betrachten wir folgendes Schema:
Ein Mensch verhält sich psychotisch. Er erhält ein Neuroleptikum. Es ruft Nebenwirkungen hervor. Er weigert sich, das Medikament zu nehmen. Man macht ihm klar, dass er eventuell gezwungen wird, es zu nehmen, wenn er sich weigert. Ihm wird versprochen, dass eine Dosisreduzierung, evtl. sogar eine Absetzung des Mittels möglich sei, wenn sich seine Symptomatik verbessere.
Auf dieser Grundlage kann eine aversive Konditionierung erfolgen. Die Furcht vor einer Dosiserhöhung mit qualvollen Auswirkungen, evtl. verbunden mit psychiatrischem Zwang, führt zu einer “Besserung” der “Symptome”. Dazu müssen die Neuroleptika keinerlei “antipsychotische” Wirkungen besitzen. Die so genannten Nebenwirkungen reichen vollständig aus.
Dieselben Effekte könnte man erzielen, wenn man mit die aversiven Reize mit anderen Instrumenten hervorrufen würde, beispielsweise mit elektrischen Geräten zur aversiven Konditionierung. Wer beispielsweise weiß, dass er bei Fehlverhalten am Penis mit Elektrizität gefoltert oder einem Waterboarding unterzogen wird, neigt zum Wohlverhalten. Einen ähnlichen Effekt kann man auch mit Neuroleptika erzielen, vor allem, wenn was die Dosis solange steigert, bis die Wirkungen für den Betroffenen unerträglich qualvoll werden.
Ich will nicht bestreiten, dass Neuroleptika oder andere Psychopharmaka auch eigenständige Wirkungen auf das Nervensystem haben, die sich nicht durch den beschriebenen oder andere Konditionierungsmechanismen erklären lassen. Dass diese aber eine Rolle spielen, liegt auf der Hand. Auch wenn dies den Betroffenen gar nicht bewusst wird, kann sich die konditionierende Wirkung von Psychopharmaka entfalten.
Dabei muss es sich keineswegs stets um eine aversive Konditionierung handeln. Wenn eine Substanz beispielsweise eine angenehme oder gar euphorisierende Wirkung hat, dann kann dies dazu führen, dass der “Patient” das “psychisch kranke” Verhalten zeigt, damit der Arzt ihm dieses “Medikament” verschreibt. Dies könnte beispielsweise durchaus bei der Chronifizierung von “Schlafstörungen” mitwirken.
Literatur
Gøtzsche, P. (2013). Deadly Medicines and Organised Crime: How Big Pharma has Corrupted Healthcare. Radcliffe, Kapitel: “The chemical imbalance hoax”
Moncrieff J, Cohen D (2005) Rethinking models of psychotropic drug action. Psychother.Psychosom. 74, 145-153
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