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Formen der Psychiatriekritik

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Psychiatriekritik wird in unterschiedlichen Formen geäußert, die sich folgenden Kategorien zuordnen lassen:

  1. Moral: Psychiater sind böse (sadistisch, geldgierig, machtgeil, Nazis etc.).
  2. Politik: Die Psychiatrie ist kein Zweig der Medizin, sondern ein staatliche Repressionsagentur.
  3. Kultur: Die Psychiatrie hat die Aufgabe, Menschen der Norm anzupassen, weil unsere Gesellschaft mit Abweichendem nicht umgehen kann.
  4. Wirtschaft: Die Psychiatrie gehorcht den wirtschaftlichen Interessen der Pharmaindustrie.
  5. Wissenschaft: Die psychiatrische Praxis entspricht nicht den Erkenntnissen der empirischen Forschung.
  • Ad 1: Die Moral ist ein System von Normen für das Verhalten, das in einer Gesellschaft weitgehend anerkannt ist. Psychiater handeln im Einklang mit den Normen unserer Gesellschaft, wenn sie als krank geltende Menschen behandeln. Daher ist diese Form der Psychiatriekritik nicht stichhaltig. Dem widerspricht auch nicht die Tatsache, dass es böse Psychiater geben mag. Böse Menschen gibt es bekanntlich in jedem Beruf.
  • Ad 2: Die Arbeit der Psychiatrie ist gesetzlich geregelt. Die Gesetze wurden von einem demokratisch gewählten Parlament beschlossen. Sie sehen auch Zwangsmaßnahmen vor. Diese sind daher rechtmäßig. Aus diesem Grunde ist die politische Kritik der Psychiatrie nicht stichhaltig, denn die Grundlage der repressiven Maßnahmen sind die Gesetze, für die der Gesetzgeber verantwortlich ist.
  • Ad 3: Fraglos sind die psychiatrischen “Krankheitsbilder” auch als Abweichungen von gesellschaftlichen Normen definiert. Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die in diesem Sinne von der Norm abweichen, begibt sich jedoch freiwillig, also aus eigenem Antrieb in psychiatrische Behandlung. Daher ist diese Form der Psychiatriekritik nicht stichhaltig, weil man einer Kultur nicht vorwerfen kann, dass sie die freie Entscheidung von Menschen respektiert.
  • Ad 4: Zweifellos verdient die Pharmaindustrie an Psychopharmaka. Sie würde diese nicht herstellen, wenn es anders wäre. Sie verdient an jeder Art von Medikamenten. Man kann ihr dies aber nicht vorwerfen, weil eine Industrie, die nicht zumindest die Kosten erwirtschaftet, vom Markt verschwinden müsste. Daher ist die wirtschaftliche Kritik an der Psychiatrie nicht stichhaltig, weil der Vorwurf jedes Gewerbe gleichermaßen trifft und weil er Unvermeidliches kritisiert.
  • Ad 5: Die Praxis der Psychiatrie steht zweifellos nicht im Einklang mit den Erkenntnissen der seriösen empirischen Forschung. Damit ist die Gefahr verbunden, dass Menschen keine optimale Hilfe erhalten und dass sie vermeidbare Schäden erleiden. Daher ist die wissenschaftliche Form der Psychiatrie grundsätzlich gerechtfertigt.

Man mag selbstverständlich einzelne Psychiater kritisieren, die den moralischen Standards der Medizin nicht genügen; man mag selbstverständlich repressive Maßnahmen als übertrieben brandmarken; man mag sicher die kulturbedingte Unduldsamkeit der Psychiatrie gegenüber Abweichungen beklagen; man mag selbstverständlich übertriebene Profitgier und Verstöße gegen Wirtschaftsrecht geißeln – all diese Anklagen reichen aber nicht zu einer fundamentalen Psychiatriekritik. Denn diese Kritik bezieht sich immer nur auf Einzelfälle, nicht auf Grundsätzliches.

Fundamental kann nur die wissenschaftliche, die empirisch fundierte Psychiatriekritik sein. Wenn beispielsweise die empirische Forschung zeigt, dass Neuroleptika keine antipsychotische Potenz besitzen, aber sehr häufig gravierende, oft irreversible Schadwirkungen hervorrufen, dann ist das verheerend, selbst wenn alle Psychiater moralisch tadellos, der Staat vorbildlich demokratisch, die Kultur tolerant und die Pharma-Unternehmen maßvoll wären.

Die empirische Psychiatriekritik ist fundamental, aber sie ist nicht fundamentalistisch. Sie ist nur den Daten untertan. Daher kann sie ihre Postionen im Licht neuer Erkenntnisse auch revidieren, sofern diese durch Replikationen einschlägiger Studien erhärtet werden konnten. Empirische Psychiatriekritik ist deshalb nicht dogmatisch. Sie spielt das Spiel der Wissenschaft.

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