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Einhorn

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Nachdem sie im Psiram-Forum ihre Wunden geleckt haben, die ihnen in ihren Schlachten für das Gute und gegen das Böse heimtückisch zugefügt wurden, schwärmen edle Recken der Esoterik- und Alternativmedizinkritikerfront wieder aus in die sozialen Netzwerke, auch, um die hoch wissenschaftliche Psychiatrie vor niederträchtigen Kritikern, die natürlich allesamt Scientologen sind (oder etwas Ähnliches), zu verteidigen.

Gelegentlich nehmen sie die Pflasterritzenflora aufs Korn bzw. den Betreiber dieses Blogs. Ihm unterstellen sie allerlei, und dabei bevorzugt Falsches. Wenn man nur, das wissen sie, Falsches oft genug wiederholt, dann wird etwas Gutes darauf, zum Beispiel eine positive Sicht der edlen, hilfreichen und guten Psychiatrie, die man vor Sektierern und aufgebrachten Irren in Schutz nehmen muss.

Und so behaupten diese Recken wacker, dass ich die Existenz psychischer Krankheiten bestritte. “Bestritte” ist der Konjunktiv von “bestreiten” und das klingt immerhin so ähnlich wie “bezweifeln”, was richtig wäre. Aber das Wahre könnte das Böse begünstigen, und so ist es besser, das Falsche mit besonderem Nachdruck zu verkünden.

Fakt aber ist, dass ich selbstverständlich nicht die Existenz psychischer Krankheiten bestreite. Dies liefe nämlich auf folgende Aussage hinaus: “Es gibt keine psychisch Kranken!” Und Existenzaussagen, also solche, die in der Form “Es gibt…” vorliegen, kann man grundsätzlich nicht widerlegen.

Nehmen wir ein unverfängliches Beispiel: Es wird behauptet: “Es gibt Einhörner.” Wollte ich diese These widerlegen, so müsste ich alle Gegenstände des Universums durchmustern und prüfen, ob es sich dabei jeweils um ein Einhorn handelt oder nicht. Selbst wenn die Zahl der Gegenstände des Universums endlich wäre, so wäre sie zwangsläufig nicht abzählbar endlich und ich wüsste nie, ob ich auch alle Gegenstände in Augenschein genommen hätte.

Daher kann man die Existenz von etwas nicht widerlegen. Und daher kann ich auch die Existenz von Einhörnern oder psychisch Kranken nicht widerlegen. Existenzaussagen kann man grundsätzlich nicht widerlegen. Und daher würde ich mich auch niemals zu der Aussage versteigen, es gäbe keine psychisch Kranken.

Wohl aber bezweifele ich die Existenz “psychisch Kranker”. Und zwar aus folgendem Grund: Seitdem die moderne Psychiatrie im 19. Jahrhundert als medizinische Spezialdisziplin entstand, versuchte sie, körperliche Ursachen psychischer Krankheiten zu identifizieren. Dies ist ihr bisher noch nicht gelungen. Daher hat sie enorme Probleme mit der Validität ihrer Diagnosen. Dies habe ich hier ausführlich erläutert.

Kurz: Die Psychiatrie kann auf wissenschaftlicher Grundlage nicht behaupten, dass ein Mensch – Her Müller oder Frau Meyer – psychisch krank sei, weil sie über kein reliables und valides Verfahren verfügt, mit dem sie die “psychisch Kranken” von den “psychisch Gesunden” unterscheiden könnte.

Daher bezweifele ich die Existenz psychisch Kranker, aber ich bestreite sie nicht. Möglicherweise entdeckt die Psychiatrie ja irgendwann einmal körperliche Ursachen der so genannten psychischen Krankheiten. Dann könnte sie die Phänomene, die sie heute als Symptome psychischer Krankheiten deutet, mit Recht als “Krankheiten” interpretieren.

Leute mit einem Hang zur Spitzfindigkeit würden in diesem Falle aber einwenden, dass die Psychiatrie dann die Existenz psychischer Krankheiten nicht bewiesen, sondern Zweifel an ihrer Existenz gesät hätte. Denn wenn Symptome nachweislich durch einen körperlichen Prozess verursacht werden, dann haben wir ja keine psychischen, sondern körperliche, beispielsweise neurologische Krankheiten vor Augen. Ließe sich beispielsweise Theorie, die Schizophrenie sei eine Gehirnkrankheit, durch replizierbare empirische Studien erhärten, dann hörte aus dieser Sicht die Schizophrenie auf, eine psychische Krankheit zu sein und verwandelte sich zwangsläufig in eine neurologische Erkrankung.

Aber so spitzfindig will ich nicht sein. Wenn es der Psychiatrie gelänge, körperliche Ursachen für irgendeine der so genannten psychischen Krankheiten zu identifizieren und durch Replikationen der Studien empirisch zu erhärten, dann hätte ich kein Problem damit, die entsprechenden Phänomene als Ausdruck einer “psychischen Krankheit” zu akzeptieren.

Natürlich hängt menschliches Verhalten und Erleben von seinem Nervensystem ab, keine Frage. Aber dies gilt sowohl für das normale, als auch für das gestörte Verhalten. Die Frage lautet: Wird das gestörte Verhalten durch eine pathologische Veränderung im Körper, im Nervensystem verursacht oder ist es die Reaktion eines intakten Körpers, eines intakten Nervensystems auf äußere Reize (beispielsweise widrige Umstände).

Diese Frage harrt nach wie vor der Klärung und daher bezweifele ich die Existenz psychisch Kranker, bestreite sie aber nicht.

PS: Es ist im Übrigen auch falsch zu behaupten, ich hätte irgendetwas mit Scientology zu tun, siehe hier und hier. Allein, wir wissen: Was tun man nicht alles für das “Wahre, Gute und Schöne”: Lügen, lügen, lügen!

PPS: Meine Einstellung zur Psychiatrie gleicht der zur Parawissenschaft. Wenn beispielsweise hieb- und stichfest belegt würde, dass es Hellsehen oder Gedankenlesen gibt, würde ich diese mutmaßlichen Phänomene auch anerkennen.

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