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Mollath, Unterbringung, Gutachten

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Es gibt kaum etwas Peinlicheres als die Auslassungen von juristischen Laien zu rechtlichen Fragen. Dennoch sehe ich mich heute dazu gezwungen, meinen Lesern und mir selbst eine solche Peinlichkeit nicht zu ersparen. Am Wochenende wurde ich in eine Diskussion bei Twitter verstrickt, in der ein Mensch ziemlich penetrant behauptete, die Psychiatrie habe Gustl Mollath zu Recht eingesperrt. Schließlich habe ja das Gericht geurteilt, dass Gustl Mollath seine Frau malträtiert habe. Hätte denn, so wurde rhetorisch gefragt, die Psychiatrie abwarten sollen, bis der Mann seine Frau erwürge?

Hier ein Beispiel für Tweets, die das Mollath-Urteil zur Ehrenrettung der Psychiatrie auszuschlachten versuchten:

Schauen wir uns also das Gutachten genauer an. Es findet sich hier. Dort heißt es:

“Dann zur Frage der Unterbringung. Da nicht nur die Möglichkeit der Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden konnte, sondern auch die Möglichkeit der vollen Schuldfähigkeit bei Tatbegehung nicht ausschließbar war, so der Sachverständige, das heißt, letztlich Strafverfahren 6 KLs 151 Js 4111/13 gegen G. Mollath Hauptverhandlung vor dem Landgericht Regensburg am 14.08.2014 41 die Frage, ob der Angeklagte zur Tatzeit 12.08.2001 schuldunfähig, vermindert schuldfähig oder voll schuldfähig war, nicht geklärt werden konnte, wie Prof. Nedopil nachvollziehbar ausgeführt hat, kam die Anordnung einer Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus nach § 63 StGB von vornherein nicht in Betracht. Hierfür müsste eben zumindest positiv feststehen, dass der Angeklagte die Tat vom 12.08.2001, diese rechtwidrige gefährliche Körperverletzung, im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Das ist nicht der Fall. Im Übrigen ist auch eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit – eine weitere Voraussetzung des § 63 StGB – nicht gegeben. Eine solche Gefährlichkeit stellt der Angeklagte nicht dar. Hierfür spricht nichts, so auch der Sachverständige Prof. Nedopil. Insbesondere ist diesbezüglich auch festzuhalten, dass seit der Entlassung des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug keinerlei strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen zu verzeichnen sind. Also hierauf klar: Keine Unterbringung.”

Halten wir fest: Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Mollath seine Frau körperlich attackierte, spricht ihn aber frei, weil nicht auszuschließen ist, dass er zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war. Im Zweifel für den Angeklagten. Dies bedeutet aber nicht, dass er tatsächlich schuldunfähig war. Eine Unterbringung, so das Gericht, so das Urteil, wäre nur dann gerechtfertigt gewesen, wenn positiv feststünde,

  • dass er zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig
  • und eine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit gegeben war.

Genau dies aber stand nicht fest. Daraus folgt zwingend. Er wurde zu Unrecht untergebracht. Und so heißt es im Urteil abschließend:

“Außerdem war anzuordnen, dass der Angeklagte wegen der zu Unrecht erlittenen Unterbringung aufgrund § 81 StPO, aufgrund § 126 a StPO und aufgrund der Unterbringung nach § 63 StGB aus der Staatskasse zu entschädigen ist nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Strafverfolgungsentschädigungsgesetz. Für eine ausnahmsweise Versagung einer solchen Entschädigung hat die Kammer nach § 6 Strafverfolgungsentschädigungsgesetz keinerlei Raum gesehen.”

Wenn ich mich also nicht täusche, wenn also meine juristisch laienhafte Einschätzung zutrifft, so kann man sich nicht auf das Regensburger Urteil berufen, wenn man die Unterbringung Mollaths zur Gefahrenabwehr für gerechtfertigt hält. Man kann in Deutschland eben nur rechtmäßig jemanden in den Maßregelvollzug stecken, wenn die Voraussetzungen des § 63 StGB erfüllt sind, und nicht, weil man ihn einfach nur so als gefährlich betrachtet.

Kommen wir also zum zweiten Teil dieser Betrachtungen. Es gab Gutachten, die Mollath Schuldunfähigkeit und Gefährlichkeit bescheinigten. Diese waren Grundlage für eine mehr als siebenjährige Unterbringung im Maßregelvollzug. Waren diese Gutachten falsch? Und wenn ja, müssten dann, wie eine Twitterin unlängst fragte, die Gutachter nicht zur Kasse gebeten werden?

Auch hier sehe ich mich gezwungen, mich einer weiteren Peinlichkeit zu unterziehen und mein juristisches Laienurteil dazu zu verbreiten. Nicht die Gutachter haben Mollath in den psychiatrischen Knast gebracht und dort festgehalten, sondern Gerichte. Gutachter können so etwas gar nicht entscheiden. Der Schaden wurde also durch Gerichte verursacht, durch staatliche Organe, und folglich ist Mollath vom Staat zu entschädigen. So weit das Urteil.

Gerichte haben falsche Entscheidungen gefällt. Forensische Gutachten können jedoch gar nicht falsch sein, weil sie auch nicht wahr sein können. Sie sind schiere Meinung, sie sind Mutmaßungen, sie sind subjektive Betrachtungen. Die psychiatrische Diagnostik ist weder reliabel, noch valide. Sie kann ihre Diagnosen nicht durch objektive Verfahren erhärten. Keine Biomarker, keine Laborwerte irgendeiner Art, keine Brainscans, nichts. Dies habe ich ausführlich hier dargestellt.

Forensische Gutachten können ebenso wenig falsch oder richtig sein wie, beispielsweise, Gemälde des schiefen Turms von Pisa. Auch wenn der Turm auf dem Bild gar nicht zu erkennen ist und der Künstler sich die Freiheit nahm, stattdessen einen Klodeckel abzubilden, wäre das Bild deswegen nicht falsch. Man könnte vielleicht über Angemessenheit diskutieren, aber nicht über Wahrheit.

Den Maßstab der Wahrheit an ein forensisches Gutachten anzulegen, bedeutete, philosophisch gesprochen, einen Kategorienfehler zu begehen. Psychiatrische Gutachten sind nicht wahrheitsfähig, ebenso wenig wie beispielsweise die Aussage: Lauretta ist schön.

Diese Einschätzung trifft natürlich nur auf psychiatrische Gutachten in der heute üblichen Form zu. Wahrheitsfähig wäre ein Gutachten durchaus, wenn es beispielsweise eine “paranoide Schizophrenie” aufgrund eines gestörten Schaltkreises im Gehirn des Probanden diagnostizieren würde. Dann könnte man überprüfen, ob der Schaltkreis tatsächlich gestört ist und ob gestörte Schaltkreise dieser Art regelhaft die Symptome einer “paranoiden Schizophrenie” hervorbringen.

Doch kein Gericht erwartet Gutachten dieser Art. Man gibt sich mit Mutmaßungen zufrieden. Darum trägt natürlich auch das Gericht die volle Last der Verantwortung für die Entscheidung zur psychiatrischen Inhaftierung eines Delinquenten.

PS: Der Leser möge mir die Peinlichkeit solcher laienhaften Betrachtungen verzeihen. Wer es besser weiß, darf sich melden.

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