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Fundamentalkritik

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Mitunter wird mir Fundamentalkritik an der Psychiatrie vorgeworfen. Dieser Begriff ist zweifellos gut gewählt. Schließlich ist gemeinhin mit “Fundamentalismus” eine dogmatische Haltung meist religiöser Art gemeint, die sich gegen die Moderne im Allgemeinen und gegen die pluralistische Gesellschaft im Besonderen richtet. Fundamentalisten sind oft gewaltgeneigt und hin und wieder auch Terroristen.

Meine Kritik an der Psychiatrie ist keineswegs fundamental in diesem Sinn. Sie ist vielmehr das Resultat einer Zusammenschau der empirischen Literatur zur Lage der Psychiatrie. Sie ist daher auch nicht dogmatisch. Die Fakten entscheiden.

Wenn sich beispielsweise herausstellen sollte, dass bestimmte Muster des Verhaltens und Erlebens durch bestimmte Störungen des Gehirns verursacht werden, hätte ich nicht die geringsten Bedenken, dies auch anzuerkennen. Voraussetzung dafür sind allein wiederholt von unabhängigen Forschern replizierte, methodisch einwandfreie Studien mit einem entsprechenden Ergebnis.

Dogmatisch wollen mir manche meiner Kritiker erscheinen, die nicht müde werden, mich persönlich zu verunglimpfen, aber keine empirischen Studien zu zitieren wissen, mit denen sie meine Position widerlegen könnten.

Gelegentlich verweist man durchaus auf Studien, aber nur indirekt, nämlich auf Artikel über Untersuchungen in Publikumsmedien, die angeblich im Widerspruch zu meinen Positionen stünden. Schaut man sich aber die Originalarbeiten an, so reibt man sich nicht selten doch verwundert die Augen, denn der Tenor des Artikels ist in ihnen nicht oder nur höchst abgeschwächt wiederzufinden.

Dies liegt wohl daran, dass die Medien die Meldungen der Presseabteilungen von Universitäten abschreiben und Forscher an Universitäten nun einmal gezwungen sind, Drittmittel einzuwerben. Wer kann es ihnen da verdenken, wenn sie hin und wieder ihre Befunde ein wenig beschönigen und sensationell aufpeppen.

Meine Kernthesen lauten:

  • Die psychiatrische Diagnostik ist weder hinlänglich reliabel, noch valide.
  • Für keine der so genannten psychischen Krankheiten konnte bisher irgend eine Störung im Gehirn oder sonstwo im Körper als Ursache replizierbar identifiziert werden.
  • Für keine der so genannten psychischen Krankheiten konnte bisher irgend eine genetische Grundlage replizierbar identifiziert werden.
  • Keine der so genannten psychischen Störungen lässt sich kausal auf Grundlage traumatischer Erfahrungen oder sonstiger Umwelteinflüsse erklären.
  • Keine der so genannten Therapien wirkt kausal auf die mutmaßlichen Ursachen der so genannten Störungen.
  • Psychotherapien sind effektiv, wenngleich nicht übermäßig, weil Behandler und Behandelte an die Wirkung glauben, und nicht wegen irgendwelcher Methoden oder der Ausbildung des Therapeuten. Die Wirkung der Psychotherapien ist also allenfalls ein Erwartungseffekt, häufig auch dem bloßen Verstreichen der Zeit geschuldet.
  • Psychopharmaka sind nicht nennenswert effektiver als Placebos oder sie überlagern die Störungen (zum Beispiel durch Erzeugung von Apathie bzw. Euphorie), ohne auf mutmaßliche pathologische Prozesse kausal einzuwirken. Oftmals schaden diese Substanzen mehr als sie nutzen.
  • Elektroschocks sind ebenfalls nicht effektiver als Placebo-Behandlungen.

Diese Thesen beruhen auf meiner jahrzehntelangen Lektüre der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur. Natürlich könnte ich wichtige Studien übersehen haben. Natürlich können in Zukunft neue Einsichten hinzukommen. Für entsprechende Hinweise bin ich dankbar. Nach sorgfältiger Prüfung einschlägigen Materials werde ich ggf. meine Thesen entsprechend korrigieren.

Für mich zählen allerdings nur replizierte, methodisch saubere empirische Studien, keine Glaubensbekenntnisse und auch keine Plausibilitätserwägungen. Und erst recht beeindrucken mich keine persönlichen Angriffe. Mag es auch übel um meinen Charakter bestellt sein, dennoch könnten meine Thesen ja zutreffen. Selbst vollendeter Rufmord an ihrem Autor könnte sie nicht widerlegen. Dazu bedarf es der Wissenschaft, nicht der Verleumdungskunst.

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