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Im Wunderland der Drogen

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Anwalt des Teufels

In unserer Kultur haben Drogen einen schlechten Ruf. Sie machten süchtig, heißt es, und sie zerstörten die Gesundheit. Besonders übel seien die illegalen Drogen. Diese könnten uns im schlimmsten Falle ins Gefängnis bringen. Es ist sogar bei Strafe verboten, andere zum Konsum illegaler Drogen zu verleiten.

Unter mittelalterlichen christlichen Gelehrten und Mönchen bestand eine Methode zur Festigung des Glaubens darin, die heiligen Überzeugungen auf den Prüfstand der Vernunft zu stellen und über sie zu Gericht zu sitzen. Ein Mönch übernahm die Rolle des Anwalts Gottes (”advocatus dei”), ein anderer war der “advocatus diaboli”, der Anwalt des Teufels. Die Standpunkte des “advocatus dei” in Sachen Drogen können Sie auf den staatstragenden Websites zur Drogenaufklärung nachlesen. Ich möchte nun, um Sie, lieber Leser, in Ihrer Ablehnung der Drogen zu festigen, den Anwalt des Teufels spielen.

Stellen Sie sich also ein wenig Höllenfeuer und Schwefelduft als Illumination für folgendes Plädoyer vor:

Drogen rufen, im rechten Geiste genommen, keine Abhängigkeit hervor. Sie schenken uns vielmehr Freiheit.

  • Mit einem Gläschen Wein verwandeln wir uns in stille, vergnügten Genießer, die sich sanft entspannt der Wahrheit öffnen.
  • LSD erlaubt uns, tief greifende mystische Erfahrungen zu sammeln, uns selbst zu ergründen und die ursprüngliche Schönheit der Welt zu erblicken.
  • Ecstasy (MDMA) führt uns in das Reich unserer wohlwollenden Gefühle, fördert eine gesunde Selbstliebe und bringt uns unseren Mitmenschen näher.
  • Opiate lindern nicht nur körperliche Schmerzen, sondern auch seelische Pein. Sie machen gelassen und versetzen uns in Hochstimmung. Sie helfen uns, Ängste und Gemütsverstimmungen zu meistern und unsere Gedanken zu ordnen, wenn unsere Gefühle und unser Denken verwirrt sind.

Diese Liste könnte ich nach Belieben verlängern; ich müsste nicht lange überlegen, um zu jeder psychoaktiven Drogen eine Reihe von Segnungen und handfesten Vorteilen aufzuschreiben. Drogen vergrößern unsere Kontrolle über unser Bewusstsein und damit über unser Leben.

So spricht der “advocatus diaboli”.

Und diese Worte, liebe Leser, offenbaren die Macht des Teufels. Er zeigt uns die irdischen Paradiese, will uns damit zu einem sündigen Leben verführen und uns blind machen für die Tatsache, dass es uns, Wohlverhalten vorausgesetzt, erst im Jenseits, nach dem Tode gut gehen darf. Wappnen Sie sich vor diesen Versuchungen, indem sie sich die vielen großartigen Vorzüge des Drogenkonsums unerschrocken vor Augen führen. Nur wer den Feind kennt, kann ihn besiegen. Bleiben sie stark und gesetzestreu. Dann steht Ihnen das himmlische Paradies offen, wenn die Erde auf ihren Sarg fällt.

Doch Scherz beiseite!

Die Strafverfolgung von Dealern und Süchtigen verursacht gigantische Kosten, ohne dass die Drogensucht so in den Griff zu bekommen wäre. Im Gegenteil: Die Kriminalisierung der Drogenabhängigen und die Drogenprohibition führen zur Beschaffungskriminalität, verschlechtern die gesundheitliche Situation der Betroffenen und verursachen somit zusätzliche, vermeidbare Kosten für das Gesundheitssystem. Mit einem Federstrich, nämlich durch die Legalisierung aller Drogen, könnte viel Geld für sinnvolle Maßnahmen gegen die Drogensucht gespart werden. Mit diesen Mitteln könnte man an den Ursachen ansetzen, statt, wie bisher, erfolglos an den Symptomen herumzupfuschen.

Was wurde nicht gerätselt, wer oder was an der Drogensucht schuld sei: der Erziehungsstil der Eltern, sexueller Missbrauch, mangelnde Autorität der Lehrer, fehlende Lehrstellen, Kulturzerfall, Verlust der religiösen Orientierung oder die Gene, Geburtsschäden und was weiß ich nicht noch alles. Kaum eine gesellschaftliche Interessengruppe fühlte sich nicht berufen, mehr Geld zu fordern,  um mit ihrem Allheilmittel gegen die Drogensucht die Menschheit zu retten.

Dabei ist längst bekannt, welche Kräfte die Drogensucht antreiben. Es sind – mitunter kaum reflektierte, aus dem Bewusstsein verbannte, mental abgewehrte und kompensierte – Ängste, Gemütsverstimmungen und quälende Langeweile. Zu diesen Triebkräften gesellt sich eine anthropologische Konstante; die tief ins Erbgut eingesenkte Lust des Menschen am Rausch. Doch sie allein könnte keine Sucht auslösen, denn es gibt Gegenkräfte, zu denen die ebenfalls tief ins Erbgut eingesenkte Schaffensfreude sowie das Streben nach Effizienz zählen. Nein, die Lust am Rausch reicht als Erklärungsmodell für Drogensucht nicht aus; es müssen jene Faktoren hinzutreten, die nicht für alle Gesellschaftsformen charakteristisch sind, wohl aber, mehr oder weniger, für unsere, die kapitalistische, deren Atmosphäre durch Angst, Gemütsverstimmungen und quälende Langeweile gekennzeichnet ist. Auch andere Systeme, die den Kapitalismus nachäffen, haben sich dieses Klima eingehandelt.

Legalisieren wir also die Drogen. Sparen wir dadurch viel, viel Geld. Setzen wir dieses Geld gezielt und sinnvoll ein, nämlich zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Ängste, Gemütsverstimmungen und quälende Langeweile schüren. Die Erfolge würden sich in kürzester Zeit zeigen. Gehen wir mit offenen Augen durch die trostlosen Wohngebiete an der Peripherie unserer Großstädte, gönnen wir uns ein paar Körnchen Phantasie und denken darüber nach, welche Wunder man mit ein bisschen Geld hier wirken könnte, indem man die Kids auf andere Gedanken bringt.

War on Drugs

Seit Jahrzehnten wird ein “War on Drugs” geführt. Ohne Erfolg.

Die Drogenprohibition ruft aufgrund der Illegalität und des damit verbundenen Risikos zu einer erheblichen Verteuerung des Stoffs hervor. Erst dadurch wird der Drogenhandel für das organisierte Verbrechen interessant. Die hohen Kosten bewirken, dass die Substanzen vielfach gestreckt und damit verunreinigt werden. Dies ist mit extremen Gefährdungen der Gesundheit der Endverbraucher verbunden. AIDS würde unter Drogenabhängigen eine weitaus geringere Rolle spielen, wenn der Konsum nicht unter den oft abenteuerlichen Bedingungen der Illegalität stattfände.

Um den durch Illegalität extrem verteuerten Stoff zu finanzieren, sind die Abhängigen zu Prostitution und Beschaffungskriminalität gezwungen. Die Kriminalisierung lässt gigantische Kosten bei der Polizei, im Justizsystem, im Strafvollzug entstehen. Weitere, erhebliche Kosten bei den Sicherheitssystemen sind bedingt durch die Verstärkung des Terrorismus, der sich teilweise durch Drogengeschäfte finanziert.

Demgegenüber bringt die Drogenprohibition keinerlei Nutzen. Der Konsum unterliegt gewissen Schwankungen, die aber nicht auf verstärkte oder abgeschwächte polizeiliche Aktivität, sondern auf Faktoren der Mode bzw. des Zeitgeistes zurückzuführen sind. Es ist also keineswegs so, dass die Drogenprohibition den Drogenkonsum vermindern würde. Er findet dennoch statt. Wer Stoff haben will, bekommt ihn auch – sogar im Gefängnis.

Prohibition ist hochgradig irrationale Politik – für den überwiegenden Teil der Menschheit. Dies hat sich bereits bei der Alkoholprohibition in den USA gezeigt. Damals war man vernünftiger und hat sie, als das Scheitern nicht mehr zu verleugnen war, schließlich aufgegeben. Das war ein schwerer Schlag für das organisierte Verbrechen. Dass sie aufgegeben wurde, lag wohl daran, dass hier nicht nur eine Minderheit der Repression unterworfen war, sondern die Mehrheit der Amerikaner, die ganz gern dem Alkohol zusprechen. So etwas kann ein demokratischer Staat nicht lange durchhalten.

Das bringt mich zum entscheidenden Punkt. Wenn Drogenprohibition auch hochgradig irrational ist, so ist sie durchaus rational für eine Teilgruppe der Menschheit, nämlich für all jene, die daran verdienen. Drogenanbau und Drogenhandel sind heute ein wesentlicher Faktor der Weltwirtschaft, das ist ein Milliardengeschäft. Es bräche zusammen, wenn man Drogen legalisieren würde. Man möge sich da nichts vormachen: Das sind Geldströme, die in die Wirtschaften der Industriestaaten fließen. Den Bauern in den Anbaugebieten bleibt so gut wie nichts.

In den Industriestaaten werden die Drogenmilliarden gewaschen und investiert. Wer auch nur einen blassen Schimmer von Volkswirtschaftslehre hat, wird die Drogenprohibition mit anderen Augen betrachten, wenn er sich das klarmacht. Es geht hier um eine gigantische Umverteilung. Die Drogenabhängigen beschaffen sich das Geld für Drogen letztlich durch Kleinkriminalität, ziehen es also der großen Masse der Bürger aus der Tasche. Und dann landen die Drogendollars irgendwann und irgendwie in den Taschen der Superreichen. Man könnte diesen Spuk beenden. Durch Legalisierung der Drogen. Legal hergestellt, wären sie um ein Vielfaches billiger als heute. Extra-Profite, die für Kriminelle und deren Hintermänner interessant wären, könnten nicht mehr realisiert werden. Eine Schattenwirtschaft, die der Weltökonomie in erheblichem Maß schadet, würde zusammenbrechen.

Das Spiel

Psychoaktive Substanzen sind Mittel der Bewusstseinskontrolle. Es gibt aber auch Formen der Bewusstseinskontrolle, die ohne Substanzen auskommen. Wenn beispielsweise Menschen in Massen zusammenströmen, um einem Popstar oder Politiker zu huldigen, dann sind sie auch ohne psychoaktive Substanzen im Rausch.

Wer sich befreien will, sollte Mittel und Methoden der Bewusstseinskontrolle grundsätzlich kritisch sehen und sich nach Möglichkeit von ihnen fernhalten.

Ich rauche nicht, trinke keinen Alkohol, nehme keine sonstigen Drogen, bin in keiner Sekte oder Amtskirche, gehöre keiner politischen Partei oder weltanschaulichen Gruppe an und Fernsehen schaue ich nur, wenn überhaupt, auf einem Nagelkissen sitzend. Massen meide ich. Manche fragen mich, wie ich denn das Leben ohne all dies überhaupt ertrüge. Die Frage kann ich zurückgeben: wie kann man das Leben mit all dem überhaupt aushalten?

Der marxistische Soziologe und Sozialanthropologe Leo Kofler prägte den Begriff des apollinischen Eros. Dies ist eine Haltung, in der Lusterfahrungen (Sex, Drogen, Konsum) zur Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit in technisch-naturwissenschaftlich bestimmten Arbeitsgesellschaften funktionalisiert wird. Gelegentlich Exzesse (Karneval, Fußballturniere etc.) haben eine Ventilfunktion, damit das unterdrückte Dionysische gelegentlich einmal den Überdruck ablassen kann.

In den frühen Gesellschaftsformen der Menschheit, wie sie sich bis ins 20 Jahrhundert beispielsweise bei den afrikanischen Buschleuten erhalten hatten, bildeten das Apollinische und das Dionysische eine dialektische Einheit. In der kapitalistischen Gesellschaft, so Kofler, sei diese ursprüngliche dialektische Einheit zerrissen. Drogenkonsum, Alkoholismus, sexuelle Exzesse, Gewaltexzesse seien die Folge der Zerstörung dieser natürlichen Harmonie des Dionysischen und des Apollinischen. Wir alle könnten aber noch einen Anflug dieser Einheit erleben, nämlich im Spiel.

Das Spiel sei eine Synthese aus Freiheit und Ordnung, Leidenschaft und Vernunft. Es sei daher das Paradigma einer freien und humanen Gesellschaft. In einer solchen Gesellschaft hätte das Leben einen überwiegend spielerischen Charakter – wie bei den Buschleuten oder anderen Ethnien auf dieser Entwicklungsstufe, die nur 40 bis 50 Prozent ihrer wachen Lebenszeit für die Erwirtschaftung ihres Lebensunterhalts aufwenden mussten. Und dies, obwohl sie häufig in einer natürlichen Umgebung lebten, die ihren Gabentisch nicht gerade üppig ausstattete.

Fazit

Natürlich, das ist eine Utopie – eine Utopie freilich, die zu rund 95 Prozent der Zeit, die Homo sapiens auf diesem Planeten bisher zubrachte, durchaus real war. Die Urerinnerung an diese Zeit ist in den archaischen Schichten unseres Unbewussten immer noch lebendig. Sie ist die Quelle des “Unbehagens an der Kultur”, von der Freud sprach.

Die Legalisierung von Drogen ist freilich ein komplexes Thema. Vor- und Nachteile springen ins Auge. Und schlimmer: Man ahnt, dass man sich damit unvorhersehbare Komplikationen einhandeln könnte. Dies allerdings gilt auch für den Fall, dass alles so weiterläuft wie bisher. Damit nämlich kann niemand zufrieden sein, der die Fakten kennt.

Fassen wir also zusammen:

1. Die Drogenprohibition ist gescheitert. Sie richtet mehr Schaden an, als sie Nutzen stiftet.
2. Die Drogenprohibition ist ungerecht. Leute dürfen sich zwar volllaufen lassen, bis die Birne platzt, aber wenn einer einen Joint raucht, verstößt er gegen das Gesetz. Dies schadet dem Rechtsbewusstsein und hat damit gravierende Konsequenzen, die sich die meisten Befürworter des Drogenverbots gar nicht klarmachen.
3. Die Drogenprohibition ist illiberal. Einschränkungen von Freiheitsrechten sind aus meiner Sicht nur dann legitim, wenn sie zum Schutz der Allgemeinheit erstens notwendig und zweitens auch wirksam sind. Diese beiden Bedingungen erfüllt die Drogenprohibition aber nicht.
4. Auch wenn ich keine Drogen nehme, fühle ich mich nicht berechtigt, sie anderen nicht zu gönnen.

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